Lean: Das Service Champion Prinzip

Im Moment entsteht so viel neue Technologie und Wissen, dass man selbst in einem Fachgebiet nicht zu allen Aspekten auf neuestem Stand bleiben kann. Das ist schon ein Hammer, muss ich mal sagen. Statt den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, dass die Anderen einen überholen, rennen wir los. Damit das nicht unkoordiniert stattfindet, sollte man Wissenserwerb und Wissensmanagement in seinem Team verteilen. Das geht am besten mit einem Service Champion Konzept, das ich euch gerne vorstellen will.

Bevor wir zu den Aufgaben eines Service Champions kommen, brauchen wir eine Skill Matrix. Diese ist aus vielen IT Betrieben zum Koordinieren des Wissensstands eines Teams bekannt, wird jedoch für Presales-Berater etwas anders genutzt. In der Horizontalen sind die Themenbereiche aufgelistet, die das Aufgabengebiet umfassen. Diese Liste darf nicht zu lang werden, bis zu 12 Themen sind beherrschbar. Eine zu detaillierte Liste erschwert die Selbsteinschätzung und ist in der Pflege aufwändiger, ein erhöhter Nutzen ist dann teuer erkauft.

In der Vertikalen sind alle Teammitglieder aufgeführt. Diese schätzen sich zwei bis viermal im Jahr zu allen Themen ein. Ein Kästchen bedeutet, das Thema ist bekannt und man kann ein 15 min Gespräch mit einem Kunden dazu gut überstehen. Zwei Kästchen hat man sich verdient, wenn typische Anwendungsfälle geübt und beherrscht werden. Falls man nahezu alle Fälle bearbeiten kann, jedoch in seltenen Fällen noch Hilfe benötigt, sollte man drei Kästchen dunkel färben. Vier Kästchen bedeuten, das man ein Profi auf dem Thema ist, nahezu alles darüber weiß bzw. gute Kontakte zu der Community des Themas hat und dem Team auch als Trainer zur Verfügung steht. Das Doppel-X „XX“ kennzeichnet die Service Champions.

Areas of Expertise
Areas of Expertise einer Skill-Matrix

Diese Skill-Matrix dient zum Selbstmanagement des Teams, hier kann jeder sehen welches Wissen vorhanden ist und wen man fragen kann. Außerdem wird diese Selbsteinschätzung gegenseitig beeinflusst und gelenkt. Es gibt Persönlichkeiten, die ihr Licht unter den Scheffel stellen oder Exemplare mit besonders viel Selbstvertrauen, die hohe Werte eintragen. In Projekten werden diese Diskrepanzen jedoch durchaus nivelliert. Dieses Wissen über die Persönlichkeiten ist auch in andern Zusammenhängen nützlich. Extrovertierte Teammitglieder eignen sich vielleicht für bestimmte Kundenkonstellationen. Zurückhaltende Personen sind vielleicht genau richtig, um eine neue sehr herausfordernde Architektur anzugehen.

Im IT Betrieb wird über Skill-Matrices meist bestehendes Wissen gesichert und im täglichen Betrieb vorgehalten. Etwa müssen bei der Zusammenstellung einer Nachtschicht alle Wissensbereiche mit 3-Kästchen vorhanden sein. In der Beratung steht dieser Aspekt nicht so ganz im Vordergrund, es gibt bestimmte Bereiche, die aktuell gar nicht oft gefragt sind und deshalb nicht unbedingt präsent sein müssen. Aber es kann ein Thema auch andersherum treffen, innerhalb eines Wissensgebiets gibt es einen neuen Aspekt oder eine neue Ausrichtung, die im Markt sehr gefragt ist und deshalb schnell von vielen erlernt werden muss.

Untenstehend ist das Beispiel eines Managed Workplace, der nun durch einen Microsoft Modern Workplace ergänzt worden ist. Dirk beherrscht das Thema Managed Workplace (grün) sehr gut, allerdings fehlt ihm Wissen in den neuen Bereichen (gelb). Wenn diese neuen Bereiche gezielt aufgebaut werden sollen, ergibt es durchaus Sinn diese einzeln aufzuführen und zu managen. Es wäre unklug nur den neuen Teil zu listen, da auch althergebrachte Teile noch ihren Wert haben. Ernie als Berufseinsteiger kennt sich mit den neuen Aspekten schon viel besser aus (grün), muss aber auch die bestehenden Bestandteile kennenlernen (gelb). Obwohl manche Themen in der Skill-Matrix auf diese Weise zweigeteilt werden, sollte die Maximalzahl der Themen (Spalten) 12 nicht überschreiten.

Service Champion

Ein Service Champion koordiniert und entwickelt sein Thema. Das Wichtigste ist das ein großes Interesse an dem Thema gegeben ist, es muss Spaß machen, Herausfordernd sein, was auch immer der Antrieb ist. Im untenstehenden Beispiel ist Bert der Service Champion für Automatisierung, obwohl er das Thema nicht so gut beherrscht wie Ernie. Das ist überhaupt nicht schlimm, manchmal hat es sogar einen Vorteil, wenn sich Teammitglieder in ein Thema einarbeiten. Während ein Profi eine neue Version eines Trainings in kürzester Zeit durchschreitet, um die Eignung für Teamkollegen zu testen, wird ein Einsteiger das Training viel intensiver begutachten.

Wie im Beispiel Frank können einzelne Teammitglieder auch zwei Themen als Service Champion abdecken. Neuzugänge, Auszubildende oder Quereinsteiger haben eventuell im ersten Jahr gar kein Thema als Service Champion zugeordnet.

Der Service Champion ist der zentrale Ansprechpartner für sein Thema:

  1. Ist Kontaktperson zu allen internen Einheiten, die sich mit dem Thema befassen
  2. Hält die Beziehung zu Herstellern, Marktbeobachtern und Communities
  3. Ist der Filter für bestehende Informationen
  4. Stellt notwendige Unterlagen für die Presales Aufgabe bereit
  5. Pflegt den Trainingsplan, koordiniert Trainings
  6. Koordiniert alle Anforderungen, Entwicklungsaufgaben, Innovationen oder Abkündigungen zu seinem Thema

Das umfasst im Einzelnen

1. Interner Ansprechpartner

Er ist innerhalb des Unternehmens bekannt und begehrter Anlaufpunkt, um Aktivitäten rund um sein Themengebiet auszutauschen. Dabei steuert der Service Champion selbstständig inwieweit der Austausch das eigene Team weiterbringt. Wird seine Expertise innerhalb der Communities verlangt, so koordiniert der Service Champion nur und wählt ggf. jemanden anderes aus. Werden an das Team Anforderungen gestellt, die eine Mitarbeit erfordern, so wird dies vom Service Champion bewertet und ggf. an jemanden im Team delegiert. Der Service Champion ist bewusst nicht ein einfach weiterer Experte im Unternehmen, der bei allen Aktionen rund um sein Fachgebiet eingebunden werden muss oder gar eine gesetzte Ressource zu dem Thema. Er hält nur den Kontakt zwischen anderen Abteilungen und Presales.

2. Externer Anprachpartner

Auch hier wägt der Service Champion ab, dass er alle Kommunikationskanäle abdeckt, um an für das Team relevante Informationen zu kommen. Im Normalfall sind dies etwas mehr Informationen als zu guter Letzt benötigt worden sind. Die Mitarbeit in Communities und Herstellerrunden obliegt auch der Einschätzung des Service Champions. Die hier entstehenden Aufwände müssen gegebenenfalls im Team rückgekoppelt werden. Bei Entwicklungsthemen wird im Regelfall ein höher Anteil an Arbeitszeit geduldet, als bei Themen die sich im normalen Rahmen weiterentwickeln. Bei Zukunftsthemen ist darauf zu achten, dass Zeitinvestitionen rechtzeitig zurückgefahren werden, wenn sich das Thema nicht wie erwartet entwickelt hat.

3. Informationsverteilung

Der Service Champion filtert und verteilt Informationen zu seinem Thema. Mithilfe der Skill-Matrix sollten Informationen für Zielgruppen aufgearbeitet werden, etwa Informationen, die alle wissen müssen bis hin zu Informationen für Spezialisten in dem Thema. Der Service Champion sollte einen so hohen Bekanntheitsgrad haben, dass Informationen ihn erreichen. Es gibt aber keine Notwendigkeit jeden Informationskanal zu abonnieren oder jeder Information anzunehmen. Als Spezialist in seinem Thema kann er dies lenken.

4. Absichern und weiterentwickeln der Werkzeuge

Die Beratungsarbeit wird unterstützt durch strukturierte Vorgehensweisen, Vorlagen, Checklisten, Portfoliobausteine, Reusables, gute Kundenbeispiele, uvm. Der Service Champion sorgt dafür das diese Dokumente aktuell und auf einem hohen Qualitätsniveau gehalten werden. Dabei ist er zwar dafür verantwortlich, dass das Material zu Verfügung steht, jedoch nicht durchführungsverantwortlich. Im Regelfall koordiniert er die Erstellung und sichert die Qualität. Falls für neue oder stark geänderte Angebotsteile einige verpflichtende Dokumente nicht zur Verfügung gestellt werden, muss er diese einfordern und gegebenenfalls die Erstellung eskalieren bzw. die Gefährdung der rechtzeitigen Auslieferung anzeigen.

Für neue Ideen, Methoden und Innovationen sollte der Service Champion ein offenes Ohr haben. Typischerweise treibt er die Entwicklung innovativer Werkzeuge voran, koordiniert Forschungsarbeit, sichert Machbarkeit, sucht Möglichkeiten für Konzeptstudien, Beta-Test-Kunden etc.

5. Trainingskoordinator

Mit der Skill-Matrix kann ein Trainingsbedarf abgeschätzt werden, hierbei muss nicht jedes Thema im Team vorgehalten werden. Bei neuen Themen, Nischenthemen oder Themen die kurz vor Abkündigung stehen reicht eventuell aus, wenn wenige Berater dieses Thema beherrschen. Die Anzahl der Berater in einem gewissen Ausbildungsgrad z.B. „knows nearly all“ regelt der Markt bzw. plant das Team.

Das Ausbildungsprogramm zu jedem Ausbildungsgrad legt der Service Champion fest. Dazu schaut er sich Fachbücher, Whitepapers oder Trainings vom Markt an, entwickelt selber Trainings, erstellt Zusammenfassungen, bietet Coachings und Shadowing an. Diese werden in Listen gepflegt und in „must“, „should“, „could“ eingeteilt, sodass Teamkollegen sehen ob Trainings so wichtig für das Themenfeld sind, dass sie verpflichtend durchgeführt werden müssen (ggf. mit Zertifikat). Es gibt aber sicher auch Trainings, die sinnvoll aber nicht notwendig sind „should“ oder auch Trainings, die sich zum Beispiel einem übergreifenden Bereich widmen, also ergänzend sind. In die Kategorie „could“ fallen auch Trainings, die sehr technisch sind, somit zum Verständnis der inneren Mechanismen der Services sinnvoll sind, aber für die Beratertätigkeit eher ergänzend sind.

In vielen technischen Bereichen sehen Hersteller von Software und Services keinen Trainingspfad für Berater vor. Meist werden hier Trainings für Administratoren und simple Überblickstrainings für Sales angeboten. Der Service Champion muss hier aus bestehenden Materialien eine gute Mischung finden. Bei sehr technischen Web-Based-Trainings kann dies ein Hinweis sein, sich das Training nur bis zur Minute 42 anzuschauen. Bücher, Whitepaper und Folien können eventuell in Form von Auszügen bereitgestellt werden. Dies kann hervorragend durch eine 30 minütige Videokonferenz ergänzt werden, in der der Service Champions durch das Material führt und Fragen der Teamkollegen beantwortet. Idealerweise zeichnet man so eine Videokonferenz auf und kann sie als Konserve nutzen. Auch lohnt es sich bei etablierten Themen alle zwei Jahre ein Klassenraumtraining durchzuführen, hier kann der Service Champion bestehendes Material einsetzen und viele Inhalte durch Fragen der Teilnehmer erarbeiten.

Bei weniger gefragten Themen lohnt sich eine vollständige Trainingsvorbereitung und Organisation nicht, hier können ein bis zwei Kollegen innerhalb eines Projektes als „Shadows“ mitlaufen und so das Thema erlernen. Shadowing bedeutet hier einen erfahrenen Kollegen zu begleiten, mitzuschreiben, Fragen zu stellen und das Aufgabenfeld zu erlernen. Nachdem sie einen gewissen Stand erlernt haben, fangen sie unter Anleitung des Service-Champions an Dinge selbst umzusetzen „Reverse-Shadowing“. Hierbei ist es wichtig dies aktiv, wie ein Training zu planen. Der Service Champion muss die Zeit für Erklärungen und Fragen haben. Diese Art von Shadowing-Training ist zum Erlernen eines zusätzlichen Themas durch erfahrene Consultants sehr gut geeignet, da diese vielfach Wissen durch Transformation übertragen und die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellen können. Ein solches Shadowing ist für Berufsanfänger nicht gut geeignet, diese lernen vorwiegend den nachgeahmten Teil und können manche Teile des Tagesprogramms nicht einordnen. Deshalb sollte man neue Mitarbeiter zuerst auf den Kernthemen, bei denen ein gut strukturiertes Trainingsangebot vorhanden ist, ausbilden.

Der Service Champion sollte sich auch die Zeit nehmen Trainingspläne für seine Kollegen zu besprechen und individuell zusammenzustellen. Hierbei kann er auf die Persönlichkeit und auf die Schwerpunkte des Kollegen eingehen und zu Inhalten und Zeitplan beraten. Der Service Champion ist verantwortlich dafür zu sorgen, dass sein Thema marktgerecht im Team vertreten ist. Die Verfolgung der Standards und Ausbildungsgrade ist ein Bereich der in Konkurrenz zu anderen Themengebieten im Team steht, deshalb sollte dies in Abstimmungsrunden mit allen Service Champions erfolgen und ggf. die Priorisierung via Stakeholdern entschieden werden.

6. Unterstützung von Early-Life und Retirement

Bei der Änderung und Einführung von Services, Technologien oder Vorgehensweisen, die außerhalb des Beraterteams liegen, ist der Service Champion der Vertreter des Teams, etwa im Change Advisory Board. Er koordiniert Unterstützung durch das Team, kurzfristigen Wissensaufbau, Unterstützungen in der Anlaufphase, etc. Genauso auch bei Abkündigungen oder massiven Änderungen hält der Service Champion sein Team auf neuesten Stand.

Auch bei Sondereinsätzen zu den Themen, wenn das Team über die Beratertätigkeit hinaus helfen soll, ergibt es oft Sinn dies über den Service Champion zu koordinieren.

Ich hoffe, dieser Blogbeitrag hatte einige Anregungen für eure Beraterteams und war nicht zu allgemein oder zu abstrakt. Falls doch, sagt mir gerne Bescheid, entweder hier im Blog als Frage oder gerne auch persönlich im Gespräch. Kontaktiert mich gerne.

Ein Gedanke zu „Lean: Das Service Champion Prinzip“

  1. Hallo Herr Roth,

    das ist ein sehr spannender Artikel mit tollen Methoden und Denkanstößen! Das Modell des Service Champion ist sehr interessant, denn mit einer guten Kommunikation und Organisation ist er der Mittelpunkt zwischen den Mitarbeitern und Kollegen.
    Danke für die tollen Denkanstöße!

    Viele Grüße,
    Leonie Ebermann

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