Gelegentlich trifft man auf Organisationen, die nach außen hin behaupten, agil zu sein, bei näherer Betrachtung aber kaum eine agile Kultur entwickelt haben oder entwickeln wollen. Agile Berater verwenden dafür den Begriff Cargocult, wenn Organisationen agile Methoden ohne Nutzwert, sondern eher aus symbolischen Gründen einführen.
Cargocult ist ursprünglich eine religiöse Bewegung auf einigen Pazifikinseln, bei der z.B. Teile von Flughäfen aus Holz nachgebaut werden und die Aktivitäten eines Flughafenbetriebs symbolisch nachgeahmt werden, um die Rückkehr der Ahnen herbeizuführen, die Cargo (Fracht) bringen werden. Frachtgüter, wie sie die amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg massenhaft auf die Inseln brachten.
Meiner Erfahrung nach sind die allermeisten „Cargocult“-Fälle in Unternehmen anders gelagert. Ich habe in einem Fall erlebt, dass agile Methoden in der IT eingeführt wurden. Die Mitarbeiter:innen erfuhren dies buchstäblich über Nacht, hatten keinerlei Training, sollten aber alle laufenden Projekte auf agile Arbeitsweisen umstellen. Da es sich um ein hierarchisch geführtes Unternehmen handelte, wurde dies auch in den meisten laufenden Projekten versucht. Das Management verkündete nach 4 Wochen, dass man agiler und besser als die Branchenführer sei.
Die Umstellung auf symbolisch-agiles Arbeiten führte bei allen Projekten zu erheblichen Verzögerungen. Es wurde von den Projektleitern zu agilen Methoden gerätselt und interpretiert, sehr oft mit einer simplen Fehlzuordnung wie: Definition-of-Done ist doch unser altbekanntes Abnahmeprotokoll. Es entstand ein erstaunlicher Unsinn, sogar Repressalien sollten unter dem Namen Agilität durchgesetzt werden.
Das Ganze endete nach 9 Monaten, am Ende dozierte das Management über die Unzulänglichkeiten agiler Methoden. Ich bin während und nach diesem Massenversuch angesprochen worden, habe mit den Menschen gesprochen. Die allermeisten haben unter diesem Unfug gelitten. Einige wenige haben sich immer politisch korrekt geäußert und alles richtig befunden.
Dass diese Arbeitsweise nichts mit Agilität zu tun hat, war der Mehrheit schon nach kurzer Zeit klar. Ihr aufkeimender Widerstand führte schließlich auch zum offiziellen Abbruch des Projekts. Verblieben die Befürworter, glaubten sie an einen Cargocult? Ich vermute eher, man wollte sich mit agilen Kleidern schmücken. Wollten der Welt erzählen, nun auch eine agile Organisation zu sein. Im Inneren solle alles so hierarchisch wie möglich bleiben.
Der Verdacht liegt nahe, dass man sich modern geben wollte und es gar nicht ernst meinte. Eher eine Art symbolisches agiles Arbeiten, um dem Management und der Außenwelt etwas vorzugaukeln. Für mich passt da eher der Begriff Potemkinsche Dörfer, da wohl niemand erwartet, dass die agile Kultur irgendwann vom Himmel fällt.
„New Work“ potemkinsche Dörfer sind natürlich eine überflüssig wie nur was. In den Beispielen, die ich kenne, richten sie keinen nachhaltigen Schaden an, die Mitarbeiter:innen kennen derartigen Unsinn. Ein paar junge Mitarbeiterinnen werden mittelfristig gehen. Übrigens werden rechtlich notwendige Rahmenbedingungen in diesen Unternehmen auch so eingeführt. Diese landen dann meist in einer Stabsabteilung, da gibt es immer entsprechende ISO-Beauftragte.
Bleibt die Frage: Warum macht man so etwas? Ich habe mit HR Kolleg:innen gesprochen, die ja meist mit derartigen „New Work“ Kulturveränderungen beauftragt werden. Die waren alle genervt von solchen Projekten, es mangelte fast immer an Unterstützung, Ressourcen und Budget in ihren Unternehmen. Eine transparente Kommunikation, welche Ziele mit den viel zu knappen Ressourcen eigentlich erreicht werden können, gab es bei ihnen nicht.
Wäre ja schön, wenn jemand sagen würde: Wir wollen das nur draußen an der Tür stehen haben, weil alle das jetzt so machen. Ist aber nicht so…