Sind IT Service Managment Zertifikate nutzlos?

Eine erstaunliche Frage, über die in letzter Zeit immer wieder diskutiert wird. Auch gerne in der Variante sich für die besondere Schädlichkeit auszusprechen, die „Fast Track“, „Kompakt“ oder mit Hilfe von Blended-Learning beschleunigte Varianten zum ITIL®-Expert mit sich bringen. Neben dem ITIL-Expert sind auch COBIT® oder Projektmanagament-Zertifikate gerne mal in der Kritik. Dabei meine ich Diskussionen, die über „Was nützt denn ein Berater mit Zertifikat?“ philosophieren. Ich finde die Antwort ist ganz einfach.

  • Muss ein Service Verantwortlicher, der schon seit 20 Jahren IT Services in der selben Firma erbringt, unbedingt ein ITIL-Expert-Zertifikat erwerben? Sicherlich nicht, aber ein Foundation-Kurs könnte sich als nützliche Orientierung erweisen.
  • Überlässt ein IT Service Provider einen wichtigen IT Service einem „Fast-Track-ITIL-Expert“ ohne Berufserfahrung? Sicherlich auch nicht.
  • Wer wird für ein Change-Procedure-Redesign eher als Berater engagiert: Ein Berater mit 30 Jahren IT Service Management Erfahrung ohne Zertifikat oder ein ITIL-Expert mit 5 Jahren Berufserfahrung? Hier wird es schwierig.

Das Zertifikat sagt aus, dass der Besitzer zum Prüfungszeitraum die Prüfung leidlich gut absolviert hat. Mehr nicht. Hier verhält es sich nicht anders als mit anderen Prüfungen. Bei ITIL, COBIT, PRINCE2, PMI, etc. immerhin objektiviert. Über die Art und Weise, sowie Prüfungsinhalte insbesondere dämliche Fragen lässt sich trefflich streiten. Immerhin schaffen sie es die Kandidaten zum lernen des Buchinhalts zu bewegen und dessen Inhalte leidlich abzuprüfen. Mehr nicht.

Beim Nachdenken über eine derartige Ausbildung kommen einem sicher auch frisch ausgebildete Kollegen in den Sinn, die spätestens bei kniffligen Fragen sich auf die ITIL Bücher zurückziehen, auf „good practice“ pfeifen und vorlesen was da steht. Nun kommt hoffentlich ein erfahrener Kollege dazu und mischt die Theorie mit Praxis auf, wobei Erfahrung entsteht. Meiner Einschätzung nach übrigens auf beiden Seiten!

In einem Projekt zur Prozess-Beratung ist mir mal ein Service Manager untergekommen, der mehr als 20 Jahre Berufserfahrung hatte, eine ITIL Foundation und sehr auf ITIL schimpfte. In dem Projekt selber arbeitete er mit einer Vorlage aus einem seiner alten Projekte für einen großen Konzern,  das Ding passte sehr viel schlechter als das (viel gröbere) ITIL Original. Prozess-Entwicklung oder -Anpassung hatte er auch in Petto.

Kommen wir noch zum Thema „Fast Track“. Verkürzte und Kosten-optimierte Ausbildungsgänge sind aus der Sicht des effizienten Zertifikat-erwerbs sicherlich eine gute Alternative. Klar ist auch: Zum Wissenserwerb ist eine Erarbeitung über Monate und Jahre mit hohem Praxisanteil absolut der Königsweg. Dennoch kann ich jeden Arbeitgeber oder Freelancer gut verstehen, der eine solche Variante wählt. Ein wenig Berufserfahrung vorausgesetzt, kann ich an den Kompakt-Schulungen nichts Negatives finden. Ob aus dem Menschen mit ITIL Zertifikat in der Tasche ein guter Service Manager wird, steht auf einem anderen Blatt.

Es ist wie auch in anderen Bereichen, wenn mein Haus- und Hof-Mechaniker meine Bremsen repariert, frage ich Ihn nicht nach seinem Gesellen- oder Meisterbrief. Ich weiß, dass er es kann. Fahre ich in eine unbekannte Werkstatt möchte ich schon die Meisterbriefe an den Wänden hängen sehen. Daraus folgt aber nicht, dass die auch was drauf haben und ich Stammkunde werde.

Ein Gedanke zu „Sind IT Service Managment Zertifikate nutzlos?“

  1. Ich habe Absatz für Absatz des Blogs durchgelesen. Durchaus deswegen, weil ich exakt jene Trainings durchführe, welche hier referenziert sind.

    Und, ich kann Sie nachvollziehen, all diese Argumente und Bedenken. Ich hab sie selbst gesehen, ich hab es selbst erlebt und ich verstehe jeden, der mehr auf Erfahrung setzt, als auf ein Zertifikat.

    Was aber haben wir Trainer aus dieser Angelegenheit zu lernen bzw. was sind die systemischen Gründe dieses scheinbaren Missverhältnisses.

    1. Mit einem Zertifikat ist es nicht getan, es braucht auch Trainer die mit einem entsprechenden Erfahrungs- und Praxis-Fundus ins Training einsteigen. Einfach nur irgendwelche Folien und Fallstudien runterbeten, ohne konkrete herzeigbare Deliverables aus Realsituationen einen Kurs zu bestreiten, oder Kurse so abzuhalten, dass man hintennach als Berater den Job wieder selbst erledigen kann, finde auch ich „suboptimal“

    2. Der Faktor Angst, oder besser gesagt, das Denken abzuschalten und die Verantwortung an ein Lehrwerk zu delegieren, ist sträflich leichtsinnig. Auch für ITIL, CobIT und Prince-Begeisterte gilt immer noch das Prinzip der Eigenverantwortung. Exakt das aber kritisiere ich sogar im Einzelfall, wenn ich auf den einen oder anderen meiner Zunftkollegen komme. Denn das Predigen eines Lehrwerkes an sich ist schon unsinnig, weil jeder weiss, dass dieses Predigen mit Geldverdienen verbunden ist.

    Da ist es mir lieber zu sagen:

    1. ITIL, CobIT und Prince sind klassische Nachweise dessen, dass man sich in den aktuellen Arbeitsmustern und Befähigungsgrundlagen ausbilden hat lassen, welche für Zweck X, Y oder Z. gelten.

    2. Wer sich im Sinne dieser auf Zertifikat ruhenden Handlungsempfehlungen halbwegs korrekt benehmen will, wird immer die Folgen seiner Prozess- und Organisationsempfehlungen auf die Kundenorganisation im Auge haben müssen, sonst ist er über kurz oder lange Weg vom Fenster, oder er wird in einem Blog erwähnt….

    3. Und das ist ein Hauptkritikpunkt am augenblicklichen ITIL-, CobIT-Lehrwerk. Ohne grundsätzliche Ahnung über Ursache und Wirkung von Prozess- und Organisatons-Design auf die jeweilige Kundenorganisation, ohne wirkliche erkennbare Erfahrung zu den Folgen dessen, was in den Lehrbüchern steht, würde ich selbst einen frisch geprüften Experten nicht ungeschützt in ein Servicemanagement-Mandat reinlaufen lassen.

    Exakt, dies ist aber die Crux. Man glaubt bisweilen, nach einer Prüfung könne man etwas. – Man hat nur gelernt, korrekte Antworten anzukreuzen….

    Der Teil, den ich als Trainer hier in meiner Verantwortung wahrnehmen kann, ist: Sag Deinen Studenten immer wieder, die Reise ist noch nicht fertig, wenn das Zertifikat erteilt ist, die Reise hat erst begonnen!

    Mit dieser Massnahme kann ich aber zumindest sicherstellen, dass weder Studenten, noch Kunden meiner Studenten allzugrossen Schaden nehmen, und ich als Trainer mit Schuld an dieser Misere bin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Dein Kommentar wird manuell freigeschaltet. Ich bitte um Geduld, das kann manchmal etwas dauern.