200 Jahre Augusta Ada Lovelace

200 Jahre Augusta Ada Lovelace – wobei meine Beziehung zu Ada 20 Jahre alt ist, zumindest ungefähr 20 Jahre, wenn Ihr mir diese Geschichtsglättung erlaubt. Vor 20 Jahren habe ich mich mit den ersten Rechenmaschinen und deren Erfindern befasst. Neben Frau Lovelace waren dies Persönlichkeiten wie Wilhelm Schickard, Gottfried Wilhelm Leibniz, Charles Babbage und viele mehr.

Bei einigen meist älteren Geschichtsbüchern war es mir immer ein Graus, wenn Historiker ihren Helden monumentalistisch dargestellt haben. Jede kleine Skizze, Notiz oder Idee wurde größtmöglich interpretiert, um die historische Person über alle Maße glänzen zu lassen. Am Ende blieb ein unerreichbarer Superheld, der zumindest für mich keinerlei Vorbild mehr bot.

Viel angenehmer fand ich kritische Auseinandersetzungen, die die historische Person in ihrem Kontext zeigen. Wissenschaftliche Helden, die Ideen aufnehmen und entscheidend weiterentwickeln, Teamarbeiter sind oder einen Tross Mitarbeiter befehligen und vieles mehr, dass einem verstehen hilft wie die Person in ihrer Zeit war. Vorbilder mit Ecken und Kanten sind mir näher, realer und meist stellt sich deren Leistung, als noch bewunderswerter heraus.

Im Rahmen einer Lesung zu Frauen in der Informatik befasse ich mich nach Jahren wieder mit Ada Lovelace und muss feststellen, dass Ada ganz schön gewachsen ist. Auch vor 20 Jahren war Ada Lovelace schon eine Ikone für Frauen in der Informatik. Nun kommt Sie mir ganz oft sehr extrem dargestellt vor: Superheldin oder dummes aristrokratisches Menschlein, Ada polarisiert. Im Facebook-Zeitalter gibt es kurze Artikel und deren erste Ableitung nämlich Kommentare. Ada Artikel im Netz werden mit und vielfach ohne Wissen kommentiert. Dabei geht es eher um Debatte und Frontenbildung. Diskussion, historischer Kontext und Hinweise auf alternative Sekundärliteratur sind spärlich gesät.

Ich fürchte es geht auch gar nicht um Ada in ihrer Zeit, sondern um die Ikone Ada in unserer Zeit. Auf den Punkt bringt es die Frage „Was würde Ada heute tun?“ Auch wenn von konkreten Antworten nur so wimmelt, im eigentlichen Sinne ist diese Frage nicht ernsthaft zu beantworten. Ada Lovelace entstammt einer aristrokratischen Familie im viktorianischen Zeitalter.

Ein paar Rahmenbedingungen aus Adas Zeit mit heutigem Maßstab gemessen: Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat ein Wahlrecht, es gibt keine Gleichberechtigung, Arbeiterfamilien leben meist unter prekären Bedingungen, Kinderarbeit ist Gang und Gäbe. Dampfmaschine und Kohle treiben eine frühkapitalistische Gesellschaft voran, es herrscht Aufbruchstimmung, Luftverschmutzung und Arbeiter haben keine Sozialversicherung. Es ist noch ein weiter Weg in unsere Gesellschaft und deshalb aus einigen Betrachtungswinkeln spannend.

Dampfkraft ermöglicht Produktion ungebunden von Wasserläufen oder Windmühlen an jedem Ort. Charles Babbage und Ada Lovelace sind getrieben von der Idee mathematische Funktionen mit Dampf zu berechnen. Seine Differenzmaschinen sollten mathematische Tabellen fehlerfrei berechnen. Differenzmaschinen berechnen Polynome, das heißt die berechneten mathematischen Funktionen, wurden nur angenähert genau berechnet. Das funktioniert für viele Anwendungen ganz wunderbar, schränkt aber die berechenbaren Funktionen ein.

Um universeller rechnen zu können erfindet Charles Babbage die Analytical Engine, eine Maschine die Grundrechenarten gesteuert mit Lochkarten kombinieren kann und so ähnlich wie ein Computer rechnen kann. Zu dieser nur auf dem Papier existierenden Maschine werden verschiedene Programmabläufe entwickelt. Den Ablauf zur Berechnung von bernoullischen Zahlen veröffentlicht Ada Lovelace. Dies ist sozusagen das Epizentrum aller Interpretation.

Die Analytical Engine ist die Geschichte einer sehr Visionären Erfindung, absolut spannend und eine geistige Leistung die ihrer Zeit weit voraus ist. Die Analytical Engine als theoretischer Computer wird jedoch weder gebaut noch weiter verfolgt, die Idee gerät in Vergessenheit.

Hätte die Maschine funktionieren können? In wie weit haben die Beteiligten einen Computer in ihr gesehen? Gab es Ideen zu einer Programmiersprache? Welchen Anteil hatten Ada Lovelace und Federico Luigi Menabrea?

Die Analytical Engine wird aktuell in einem Forschungsprojekt gebaut. Die restlichen Fragen sind nicht mehr zu beantworten, sondern nur zu interpretieren. Dazu dienen die wenigen wissenschaftlichen Dokumentationen und der Briefwechsel zwischen den Beteiligten und ihren Familien.

Wenn Ihr Euch mit Literatur zu Ada Lovelace und Charles Babbage beschäftigt, werdet ihr herausfinden, wo die Goldwaage angesetzt wurde, Dinge weggelassen sind oder der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet wurde.

Am besten lest Ihr ein Buch Pro und eines Contra Ada Lovelace als erste Programmiererin. Neben einer fundierten Meinung werdet Ihr schöne Dinge finden: Charles Babbage soll ein grummeliger Zeitgenosse gewesen sein. Ada Lovelace wollte mit Dampfkraft fliegen und beide sollen schlechter gekleidet gewesen sein, als ihre Dienerschaft.

Eine Frage bin ich Euch noch schuldig. Was würden Ada und Charles heute tun? Als Mitglied der Aristrokratie vielleicht Parties in Südfrankreich schmeißen, sich bei Castingshows musikalisch erproben oder den ganzen Tag twittern. Vielleicht sitzen sie aber auch neben Euch in einer Mathematikvorlesung, im Großraumbüro einer Versicherung, entwickeln Cloud-Anwendungen und sind ganz normale Menschen.

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