Ein sehr beliebtes Narrativ ist, dass man jeden Tag nur ein paar Minuten in Ausbildung, Arbeit, Wissen, Kontakte, körperliche Ressource oder eine soziologische Ressource investieren muss und nach einem Jahr durch den Zinseszinseffekt etwas ganz Großes herauskommt. Um dies zu veranschaulichen, lasst mich ein Beispiel erfinden.
Stellen wir uns vor, dass die Aussage für ein ganzes soziales Medium richtig ist, dass ein neuer Beitrag im Durchschnitt 1 % neue Follower bringt.
Und jetzt ist meine 1%- Geschichte: Investiere jeden Tag 3 min in eine Message in dein soziales Netzwerk und bei jedem Posting steigt die Anzahl deiner Follower um 1%. Wenn du mit 100 Followern startest, hast du nach einer Woche 106 Follower, nach einem Monat 135 und nach einem Jahr 3741 Follower.
Warum beeindrucken diese 1%-Geschichten uns im ersten Moment? Geringe Investition – enormes Wachstum – großer Gewinn!
Damit diese 1%-Geschichten wirklich realisierbar sind, muss das prognostizierte Wachstum exponentiell sein. Dieses exponentielle Wachstum gilt leider nicht für die Vermehrung von 100 Blumen in deinem Garten, auch wenn die Ausgangswerte ebenfalls bei 1% Wachstum liegen würden.
Biologische Systeme folgen häufig logistischen Kurven, das sind jene Kurven, die in charakteristischer Weise die Form eines S haben. Im Steigungsteil sehen sie für kurze Zeit wie Exponentialfunktionen aus. In unserem Beispiel von einem Posting pro Tag habe ich das einmal als Modell gewählt und der konstant arbeitende Poster erkennt den Unterschied nach 100 bis 150 Tagen, weil dann die Kurve abfällt.
In meinem erdachten Modell erreichen wir am Ende des Jahres 500 Follower, das ist eine tolle Steigerung und war den Aufwand von ca. 18 Stunden Tippen wert. Im Vergleich zu den angepeilten 3700 Followern ist das Ergebnis jedoch enttäuschend.
Und genau das ist meine Kritik an diesen 1%-Zinseszinsgeschichten, fast nichts in einem begrenzten Markt wächst exponentiell. Ich fürchte, dass der Mangel an Realismus und die Enttäuschung unterwegs, nicht genug Wachstum zu schaffen, zu Abbrüchen und Demotivation führen.
Die Motive in den Geschichten sind oft super, es lohnt sich, konstant 3 Minuten am Tag in etwas Gutes zu investieren. Man wird schlauer, generiert mehr Kunden, wird sportlicher oder was auch immer. Nur nicht exponentiell.