IT Sozialarbeiter

IT, das sind die Nerds mit Hoodie im Keller. Vor allem in der Medienberichterstattung, wenn es eine öffentlichkeitswirksame Computerpanne in einer Firma gab. Hintergrundbild ist eine Person vor einem Laptop, heruntergelassene Jalousien, die einen gestreiften Schatten auf den Hoodie werfen. Das einzig Neue seit einigen Jahren ist, dass der Hacker auch mal weiblich ist.

Neulich habe ich einem Schreiner auf die Frage, was man denn so beruflich mache, geantwortet, dass ich in der Informatik tätig sei. Seine Antwort war, den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, das könne er nicht. Daraufhin habe ich geantwortet, das kann ich auch nicht. Er meinte, er würde mit Menschen arbeiten. Ich fragte ihn, wo und wann er denn mit Menschen arbeitet. So ungefähr alle 6 Wochen berät er Kunden über einzelne Möbelstücke oder deren Aufarbeitung, ansonsten arbeitet er alleine in der Werkstatt.

Dass ich viel mehr mit Menschen arbeite, nahm er mir nicht ab. Für ihn bedeutet IT, dass man vor dem Computer sitzt und programmiert. Also habe ich versucht, ihm die Aufgaben eines IT-Architekten zu erklären. Ich sagte ihm, dass ich den Kunden verstehen muss, seine Kultur, seinen Reifegrad. Dass wir uns auf das richtige Maß an IT-Dienstleistungen verständigen müssen, die dem Kunden einen realen Geschäftswert bringen. Das Bild, das ich mir von der Kunden-IT gemacht habe, muss ich mit der Realität im Unternehmen in Einklang bringen. Dass ich Menschen überzeugen muss, ihre Arbeit zu verändern und ihnen ein differenziertes Bild ihrer Zukunft aufzeigen muss.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich wirklich zu ihm durchgedrungen bin. Zumindest weiß er, dass es Leute in der Informatik gibt, die intensiv mit Menschen und sozialen Systemen arbeiten. Aber ich vermute, er glaubt weiterhin, dass die meisten von uns mit Pizzafingern im Keller arbeiten.

Dieses hochdämliche Image von IT-Berufen dürfte viel dazu beitragen, dass uns in diesem Bereich seit Jahren der Nachwuchs fehlt. Gerade für weibliche Auszubildende und Studierende dürfte „den ganzen Tag vor dem Computer sitzen“ eine ziemliche Abschreckung sein.

Ich kann nur sagen, die Berufsbilder in der IT sind extrem vielfältig, man lernt tolle Kunden kennen, kann gemeinsam super interessante Innovationen für das Business entwickeln. Und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit Menschen zusammenarbeite.

Liebe Informatikerinnen und Informatiker, lasst uns öfter über unseren Beruf sprechen, über aufregende, herausfordernde oder lustige Begegnungen mit Kundinnen und Kunden, immer bei Sonnenschein und manchmal gerne auch im Hoodie.

Hoodie

Das geht alles den Bach runter

Bei Veränderungen gibt es eine Late Majority, die einer Transformation fast immer negativ gegenübersteht. Selbst wenn ein altes System aus dem letzten Loch pfeift, finden diese Gruppen immer noch Gründe, warum ein neues System, ein neuer Prozess oder eine neue Herangehensweise richtig schlecht ist und das Unternehmen in den Ruin treiben wird.

Die Late Majority ist dann die letzte aktive Gruppe, die an der Änderung mitwirkt. Wenn sie dann irgendwann auch emotional mit der Veränderung durch sind, das neue System sehr gut läuft, neue Kunden gewonnen wurden und so weiter, dann kommen manchmal von den gleichen Leuten Aussagen wie, ich habe ja immer gewusst, dass das neue System so hervorragend für uns ist.

Ich unterhalte mich gerne mit diesen Leuten bei einem Kaffee, um zu verstehen, wann der Meinungsumschwung stattgefunden hat und ob ich diesen in irgendeiner Weise hätte beschleunigen können. Das Erstaunliche ist, dass alle, die ich angesprochen habe, bestreiten, jemals Gegner des Neuen gewesen zu sein.

Selbst wenn der Tischnachbar noch einmal bestätigt, aber du hast doch damals aktiv gegen das Neue gearbeitet, kommen nur Ausflüchte wie, das war ja auch nicht so gemeint. Egal wie transparent oder fehlertolerant der Kunde war, immer wird geleugnet, jemals gegen das Neue, nunmehr besser Funktionierende gewesen zu sein.

In diesem Zusammenhang sind anfängliche Vorbehalte durchaus verständlich. Wenn eine Organisation zu lange gewartet hat, auf Verschleiß gefahren ist, ist das Personal oft so belastet, dass eine Transformation wie eine wahnsinnige Last erscheint. Wenn nach einer erfolgreichen Transformation ein anfänglicher Gegner sagt, ja, ich dachte, das kann die Mannschaft nicht auch noch schultern. Ist das sehr verständlich.

Für Veränderungsprozesse sind auch die Zurückhaltenden sehr wichtig, sie helfen zu Beginn bei der Stabilisierung und am Ende haben sie manchmal die Chance, das neue System noch besser einzuführen als die Early Adopters. Traut euch, zuzugeben, dass ihr am Anfang Bedenkenträger wart, denn daraus können wir alle lernen.

https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations

Bach

Der 1% Unsinn

Ein sehr beliebtes Narrativ ist, dass man jeden Tag nur ein paar Minuten in Ausbildung, Arbeit, Wissen, Kontakte, körperliche Ressource oder eine soziologische Ressource investieren muss und nach einem Jahr durch den Zinseszinseffekt etwas ganz Großes herauskommt. Um dies zu veranschaulichen, lasst mich ein Beispiel erfinden.

Stellen wir uns vor, dass die Aussage für ein ganzes soziales Medium richtig ist, dass ein neuer Beitrag im Durchschnitt 1 % neue Follower bringt.

Und jetzt ist meine 1%- Geschichte: Investiere jeden Tag 3 min in eine Message in dein soziales Netzwerk und bei jedem Posting steigt die Anzahl deiner Follower um 1%. Wenn du mit 100 Followern startest, hast du nach einer Woche 106 Follower, nach einem Monat 135 und nach einem Jahr 3741 Follower.

Warum beeindrucken diese 1%-Geschichten uns im ersten Moment? Geringe Investition – enormes Wachstum – großer Gewinn!

Damit diese 1%-Geschichten wirklich realisierbar sind, muss das prognostizierte Wachstum exponentiell sein. Dieses exponentielle Wachstum gilt leider nicht für die Vermehrung von 100 Blumen in deinem Garten, auch wenn die Ausgangswerte ebenfalls bei 1% Wachstum liegen würden.

Biologische Systeme folgen häufig logistischen Kurven, das sind jene Kurven, die in charakteristischer Weise die Form eines S haben. Im Steigungsteil sehen sie für kurze Zeit wie Exponentialfunktionen aus. In unserem Beispiel von einem Posting pro Tag habe ich das einmal als Modell gewählt und der konstant arbeitende Poster erkennt den Unterschied nach 100 bis 150 Tagen, weil dann die Kurve abfällt.

In meinem erdachten Modell erreichen wir am Ende des Jahres 500 Follower, das ist eine tolle Steigerung und war den Aufwand von ca. 18 Stunden Tippen wert. Im Vergleich zu den angepeilten 3700 Followern ist das Ergebnis jedoch enttäuschend.

Und genau das ist meine Kritik an diesen 1%-Zinseszinsgeschichten, fast nichts in einem begrenzten Markt wächst exponentiell. Ich fürchte, dass der Mangel an Realismus und die Enttäuschung unterwegs, nicht genug Wachstum zu schaffen, zu Abbrüchen und Demotivation führen.

Die Motive in den Geschichten sind oft super, es lohnt sich, konstant 3 Minuten am Tag in etwas Gutes zu investieren. Man wird schlauer, generiert mehr Kunden, wird sportlicher oder was auch immer. Nur nicht exponentiell.

Exponentielles und logistisches Wachstum
Exponentielles und logistisches Wachstum

Leistung bewerten, nicht die Zeit

In den sozialen Medien sehe ich immer wieder mit Erstaunen, dass einfache und unreflektierte Appelle hohe Klickraten erzielen. Die sind zum Teil schon uralt, werden aber alle paar Wochen wieder gepostet und bekommen tausende Klicks. Mir sind diese Floskeln zu langweilig und ich finde sie öde, aber die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien liebt genau solche Kalendersprüche.

Einer der Appelle lautet: „Arbeitgeber, bewertet die Leistung, nicht die Anwesenheit“. Ein toller Appell, ein wunderbares Thema, über das man trefflich diskutieren kann. Im Übrigen ist es auch sehr wertschaffend, wenn sich Unternehmen ernsthaft damit auseinandersetzen. Für die meisten Unternehmen heißt das eine tiefgreifende Veränderung, das ist nicht so einfach.

Wenn ich alle 14 Tage diesen Aufruf auf meiner Timeline sehe, muss ich immer wieder an so manchen Konzern denken und schmunzeln. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer etwas jüngeren Bereichsleiterin. Mein Team war damals bekannt für seine hohe Effizienz unter Anderem dank Lean, Agile und Diversity und ich wurde oft gefragt, was hinter dem Ganzen steckt.

Nach so einem Vortrag nahm mich die Kollegin beiseite und erklärte mir, wie man in einem Konzern zu etwas kommt. Es war ein sehr tolles Gespräch, sie hat eine ganz andere Weltsicht als ich, aber ich schätze es sehr, dass sie mir offen ihre Vorgehensweise erklärt hat. Hier die wichtigsten Methoden ihrer Strategie „Präsenz“.

Immer lange bleiben, im Großraumbüro einen Platz suchen, der von jedermann gut einsehbar ist. Wenn am Abend die Beleuchtung ausgeschaltet wird, nicht wieder einschalten, sondern nur den eigenen Arbeitsplatz beleuchten. Zwei LED-Schreibtischlampen sind ideal.

Immer darauf achten, Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Vorstandsetage aufsuchen, sich nach Terminen und Anwesenheit erkundigen, den Aufzug genau dann nehmen, wenn abends die letzte Vorstandssitzung stattgefunden hat, im Aufzug erwähnen, dass man eine kleine Pause macht und sich nur ein Getränk aus dem Automaten im Erdgeschoss holt.

Wenn man irgendwo hingeht, immer etwas unter dem Arm haben, ideal ist ein Hefter, auf dem man mit einem Stift etwas notieren kann. Gegen die Langeweile viele Unterlagen auf dem Schreibtisch ausbreiten, dazwischen kann man dann private Lektüre vergraben. Auch das private Tablet fällt bei all dem Kram nicht so auf.

Sie hatte noch ein Dutzend weiterer Tipps dieser Art. Diese Methoden waren in dieser Firma sehr erfolgreich und ich denke, das gilt auch für zahlreiche andere Konzerne. Wie gesagt, überhaupt nicht meine Welt, aber ein sehr sympathisches Gespräch, ich musste sehr schmunzeln und habe mal eine andere Weltanschauung gesehen.

Nun zur Bewertung der Strategie „Präsenz“ und der Alternative „Leistung“:

Nehmen wir an, bei der nächsten Reorganisation wird ihr Name in den Ring geworfen. Die Reorganisation wird von einer kleinen Gruppe von Leuten diskutiert, die Zugang zu Hunderten von Kandidaten haben. Der Name fällt und die meisten im Gremium kennen die Mitarbeiterin nicht sonderlich gut, haben aber einen positiven Eindruck: „Ach, das ist die, die immer so lange bleibt“. So findet die Strategie „Präsenz“ in der Breite bequem viele Unterstützer.

Dies ist wesentlich einfacher als eine übereinstimmende Bewertung der Leistungen von Hunderten von Bewerbern. Diese Leistungen müssen für das selbe Entscheidungsgremium transparent sein. Überlegt euch mal, wie viele Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein solches Gremium mehrheitlich sagt: „Ach, das ist die, die immer so tolle Leistungen erzielt“.

Eine Voraussetzung ist die gegenseitige Anerkennung und der gegenseitige Verweis auf die Leistung. „Ohne die Kollegin hätte ich das nie geschafft“ oder „Das Team brannte für den Erfolg, ich musste kaum unterstützen“ und viele Sätze mehr.

So, jetzt haben wir etwas Greifbares für die Leute im Team „Leistung“. Nicht nur den schwer umsetzbaren allgemeinen Satz „Bewertet Leistung statt Anwesenheit“. Wie wäre es mit dem Appell: „Sprecht heute einmal vor versammelter Mannschaft ein Lob an eine Kolleg:in aus!“

Ist in jedem Unternehmen gut umsetzbar, egal ob es sich um Mitglieder des Teams „Anwesenheit“ oder des Teams „Leistung“ handelt. Auch wenn das Thema „Leistung“ in eurem Unternehmen schon sehr gut gehandhabt wird, kann ein wenig Lob nie schaden.

Line

Keine Kenntnisse, keine Kritik

In den sozialen Medien wird oft über ungerechtfertigte Kritik oder herablassende Bemerkungen aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Kleidung usw. geklagt. Solche Klagen werden dann gerne mit der Aussage garniert, dass andere gesellschaftliche Gruppen unter solchen Dingen nicht zu leiden hätten. Meiner Erfahrung nach ist ausgrenzende Kritik sehr universell und missbraucht gerne Äußerlichkeiten wie irrelevante Eigenschaften oder Hobbys. Hauptsache, es ist ein billiges Vehikel, um die angegriffene Person zu ächten.

Ich bin und war an sehr vielen Veränderungsprozessen beteiligt, und da hört man diese Sprüche sehr oft in der Kaffeeküche. Manche Führungskräfte, die Veränderungen vorantreiben, kriegen ihr Fett weg. Diese Verunglimpfungen werden oft von den Laggards getrieben, das sind die Leute die als allerletzte die Veränderungen übernehmen. Als Außenstehender bin ich eher selten betroffen.

Aber einmal ist es mir passiert: Ein Unternehmen musste dringend seine dezentrale, inhomogene IT effizienter machen, weil es rote Zahlen schrieb. Nach einigen Monaten des ersten Fortschrittes gab es ein großes Projektmeeting, in dem Alternativen diskutiert werden sollten. Ein Geschäftsbereich war kurzfristig dazugekommen und hatte einen Vertreter geschickt. Ich war eigentlich nur Gast und saß ganz hinten im Raum.

Dieser Vertreter hat eine kleine Umbaupause genutzt, ist nach vorne gegangen, hat sich das Mikrofon geschnappt und hat mich als Person beschimpft. „Ob man sich von diesem bescheuerten Deutschen was sagen lassen will“ war noch die harmlosere Variante. Ich war sehr überrascht, Adrinalin schoss durch die Blutbahn, aber ich konnte die Zeit der Beschimpfung nutzen, um mich zu sammeln.

Ich ging langsam nach vorne, stellte mich neben ihn, schaute ihn an und deutete mit den Händen an, dass ich das Mikrofon haben wollte. Er war sehr verwirrt, sprach weiter, ich machte die Handbewegung ohne etwas zu sagen. Er gab mir das Mikrofon und ging zu seinem Platz zurück. Ich fasste kurz zusammen, dass wir alle hier sind, um Alternativen zu diskutieren, bat ihn um konstruktive Mitarbeit und verbot ihm, mich persönlich anzugreifen. Konstruktive Kritik an meiner Arbeit sei jedoch immer willkommen. Er rief noch etwas Unverständliches von seinem Platz, dann war Ruhe.

Ich finde es wichtig, kurz auf den Angriff zu kontern. Nicht auf den Inhalt, denn ein solcher Angriff hat keinen Inhalt. Das kann so niederschwellig sein wie ein Slow Blink, den ich zwei Damen zuwarf, die ich bei einem Konzert nicht vordrängeln lies, die sich dann mit zwei Reihen hinter mir begnügen mussten und mich dann herablassend mit Äußerlichkeiten und vermeintlichen Eigenschaften beleidigten.

Oft erfährt man so etwas erst über eine zweite Person, auch da spreche ich es immer an. Dabei verzichte ich auf Verdächtigungen, sondern spreche eher über die Inhalte. „Ich habe gehört, du magst die anstehenden Veränderungen nicht“, die Reaktionen sind vielfältig, von „Doch, doch, alles gut“ über konstruktive Kritik bis hin zu „Ja, der Meyer ist ein Arsch, schau mal, was für eine Prozkarre der fährt“.

So eine herablassende Kritik kann einen ganz schön treffen. Weil man gerade einen schwachen Moment hat, weil man mit anderen Dingen im Projekt kämpft, weil die Kritik geschickt einen wunden Punkt getroffen hat.

Wenn mir so etwas passiert ist, setze ich mich damit auseinander. Ich suche nach Ursachen, warum es mir nahe gegangen ist und versuche, es für mich abzuschließen. Ein wichtiger Prüfpunkt ist: Würde ich diese Person um Kritik bitten? Wenn nicht, ist die Kritik nicht für mich, sondern sagt vielmehr etwas über die Gegenseite aus.

Kritiker der Nasenlängen sind nevig und verdienen keine Beachtung. Du kennst mich nicht oder den Inhalt nicht, dann hast du kein Recht auf Kritik.

Abschließend ein kurzer Gedanke zu guter Kritik. Wenn es sich um eine Mentor-Mentee-Beziehung oder eine Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung handelt und man um Kritik zur Verbesserung gebeten wird. Aus der Beobachterperspektive kann man Stärken hervorheben und Schwächen als Alternativen anbieten. Statt „In der Kundenansprache musst du noch einiges lernen, Kalkulation und Technik kannst du schon sehr gut“ kann man sagen, was man schätzt: „Wenn wir beide beim Kunden sind, finde ich es toll, dass du mir die Technik und die Zahlen abnimmst. So kann ich mich ganz auf den Kunden konzentrieren.“ Als Einstieg in ein Gespräch können so einige Verbesserungsideen entwickelt werden, der Gesprächspartner hat maximale Freiheit, sich Alternativen zu nehmen und diese zu diskutieren.

Slow Blink
Slow Blink