Agile schafft Führungskräfte ab?

Ich glaube, es gibt kaum einen größeren Unsinn als das Narrativ „Agile schafft Management ab“. In den sozialen Netzwerken lese ich öfter mal Werbung für Beratungen und Seminare, wie: Erst mal langsam agile und Selbstorganisation einführen, damit man nicht gleich das Management abschaffen muss. Manager aufgepasst, ihr habt euren Job nicht mehr lange!

Alle agilen Organisationen, die ich kenne, haben nach wie vor ein Management, auch die größten und ältesten agilen Vorreiter im Bankensektor. Agile Organisationen oder Unternehmensteile auf dem Weg zur Selbstorganisation verteilen Managmentaufgaben anders als gängig. Diese neue Art von Management ist oft viel sinnstiftender und wertvoller als das Gewohnte.

Werfen wir einen Blick auf einige meiner Erfahrungen und die Unterschiede zwischen vorher und nachher.

Vorher: Der Vorgesetzte erstellt zu Beginn des Geschäftsjahres einen Fortbildungsplan mit monatlichen Berichten. Natürlich wird Rücksprache gehalten, aber es bleibt meist bei branchentypischen Schulungen, die nicht genau auf den Job passen. Der Trainingsstand wird Vierteljährlich überprüft.

Nachher: Service Champions aus dem Team legen die Trainings in den Lerngruppen fest, haben kurze Feedbackschleifen, erstellen ad hoc Trainings, alles wird visuell gemanagt. Der Job der Teamleiter ist es, Leute zu fördern, Lerngruppen auch mal anzustupsen. Das Verstärken von Stärken funktioniert in agilen Teams fast von selbst, aber das Reduzieren von Schwächen braucht meist Coaching vom Teamleiter.

Vorher: Bei Kundeneskalationen sitzen große Vorgesetztenrunden zusammen, es werden tägliche Reports erstellt und 60-minütige Jour Fixes abgehalten. Nur 10% der Reports sind wirklich relevant, die Meetings binden unnötig Ressourcen. Manche Entscheidungen werden auf Basis von Informationen aus zweiter oder dritter Hand getroffen.

Nachher: Relevante Stakeholder inkl. Kundenvertreter konzentrieren sich auf die wichtigsten Werte, unterstützt von jemandem, der Lean/Agile Methoden beherrscht. Die Situation wird visualisiert, jeder kann den aktuellen Stand sehen. Der Teamleiter moderiert, kümmert sich um Aufgaben, die über den Tellerrand hinausgehen. Der Teamleiter sorgt oft auch dafür, dass einmal getroffene Entscheidungen beibehalten werden, manche Lösungen funktionieren nicht am ersten Tag.

Ich glaube, ich könnte ein ganzes Buch mit solchen Beispielen füllen. Meiner Erfahrung nach sorgt die andere Verteilung von Verantwortung und Entscheidung für eine viel bessere Akzeptanz vor dem Wunsch nach ständiger Verbesserung. Managementsysteme wie Objectives and Key Results (OKR) kommen in solchen Umgebungen fast von selbst in Schwung, während sie in hierarchischen Umgebungen an jeder politischen Ampel stehen bleiben, sobald diese auch nur auf Gelb steht.

Führungskräfte sind bei der Einführung agiler oder hybrid-agiler Arbeitsmethoden in ihrer wichtigsten Rolle gefordert: als Schutzfunktion für das Team. Auch als Korrektiv, damit die neu verteilten Verantwortlichkeiten gut verankert und gelebt werden. Bewegt sich das Team in Richtung Selbstorganisation, bleibt der Teamleiter die wichtigste Schnittstelle und ein wichtiger Coach. Sowohl für den ganzheitlichen Blick auf die Entwicklung des Einzelnen als auch für den nächsten Entwicklungsschritt des Teams. Ganz zu schweigen von der Lösung von Konflikten.

Ich verstehe nicht, warum man den Menschen mit der Drohung „Euch braucht bald keiner mehr“ Angst macht. Der bevorstehende Wandel treibt vielen ohnehin den Angstschweiß auf die Stirn, schließlich wird sich das Arbeitsumfeld verändern. Wenn ich mir überlege, wie ich vor 10 Jahren gearbeitet habe und mir vorstelle, ich bin im Jahr 2013 und schaue jetzt ins Jahr 2023. Also ohne Vorkenntnisse jetzt auf agiles Presales und Sales zu schauen.

Ich würde viele Dinge toll finden, zum Beispiel die hohe Effizienz im Team. Einiges würde ich nicht verstehen, z.B. warum visuelles Management so nützlich ist, wenn es nach Bürokratie klingt. Und vor manchen Dingen hätte ich großen Respekt, z.B. vor dem obigen Beispiel, gemeinsam mit Kunden in einem Raum ein Feuer zu löschen.

Die Idee zu diesem Artikel kam mir übrigens, als eine Mitarbeiterin nach einem Arbeitszeugnis fragte und ich dachte: Okay, dann schreibst du mir auch eins. Das haben wir dann gemacht. In einer 60er-Jahre-Hierarchie undenkbar. In einem selbstorganisierten Team ganz selbstverständlich und eine tolle Erfahrung.

Ich möchte euch die Angst nehmen, wenn ihr in Richtung lean/agil denkt, wir agile Coaches sind für euch da. Gerne erzähle ich euch von meinen ersten Schritten.

Blick ein Tal herunter

Agile Träumer vs. Industrie-Schauspieler

Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich Beiträge lese, in denen agile oder „New-Work“-Ansätze anderen Methoden oder Organisationsformen gegenübergestellt werden. Vorzugsweise in überspitzten Formulierungen wie „Was sich die agilen Träumer nicht vorstellen können…“ oder „Was die New-Work-Generation überraschen wird…“. Umgekehrt natürlich auch in Artikeln, die bei hierarchischen Führungskulturen oder patriarchalischen Führungsfiguren den fast sicheren Untergang eines Unternehmens prophezeien. Hier geht es darum, Gräben zu ziehen, die es eigentlich nicht gibt.

Aus eigener Erfahrung mit meinem PreSales-Team kann ich nur bestätigen, welch immenses Potenzial Lean und Agile haben. Was für ein wunderbares selbstverwaltetes Arbeitsumfeld geschaffen wird. Welch großes Effizienzpotenzial Agile hat. Gemessen in harten Geschäftszahlen bedeutet das mehr Umsatz und Gewinn. Für mich ist agiles Arbeiten ein absolut zentraler Faktor für moderne Unternehmen.

Allerdings ist Agile nicht die universelle Antwort auf alle Probleme. Das behauptet auch kein agiler Coach oder Trainer, den ich kenne. Agile hat das größte Potenzial in komplexen Umgebungen. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien oder Geschäftsideen. Selbst bei Problemen, deren Ursache lange Zeit unbekannt ist, weil alle Parameter chaotisch erscheinen, ist ein agiler Ansatz leistungsfähiger als alle linearen Analysemethoden.

Hat man jedoch alle Daten im Griff und befindet sich in komplizierten oder einfachen Bereichen, lohnt es sich nicht, obsessiv an Agile herumzubasteln. Methoden sind dort am nützlichsten, wo sie herkommen, hier ist eine typische zeitliche Entwicklung:

  1. Agile Entwicklung eines visionären Produkts oder einer Services
  2. Lean zur Anpassung und Optimierung der Effizienz dieses Produkts oder dieser Services
  3. Six Sigma (oder ähnlich), um die Qualität und die Kosten des reifen Produkts oder der Services zu optimieren.

Ich hoffe, wir stimmen nun überein, dass Agile nicht mit anderen Methoden auf der Ebene der Verfahren konkurriert. Agile ist ein Teil des Portfolios, wenn man es gut macht.

Nun zum Thema Organisationen. Unternehmen, die New Work fast vollständig übernommen haben, sind noch rar. Frederic Laloux stellt in seinem Buch „Reinventing Organizations“ einige davon vor, falls es Sie interessiert. In anfänglichen agilen Projekten geht es vor allem darum, Dinge auszuprobieren und sich zu orientieren. Dabei geht es nicht unbedingt um den Einstieg in eine vollständig agile Organisation. Eine gute Mischung aus bestehender Kultur und Freiraum für agile Kultur ist der goldene Weg.

Der Umfang der agilen Freiheit kann sehr unterschiedlich sein. Ein Unternehmen, das bei der Herstellung spezialisierter Produkte hocheffizient ist, braucht eventuell weniger agile Wertschöpfung, als ein Unternehmen mit ständig neuen Produkten auf einem stark umkämpften Markt.

Abschließend möchte ich noch einen Blick auf den Führungsstil werfen. Eine klassische Hierarchie, in der Vorgesetzte immer klüger sind als ihre Untergebenen. Diese legen im Wesentlichen alle Lösungen fest und treffen alle Entscheidungen. Solche sozialen Systeme sind nach dem Gesetz von Asby im Nachteil. Ob solche Unternehmen durch diesen Führungsstil alle schlimm enden, ist eine ganz andere Frage. Als deren Konkurrent würde ich diese Schwäche ausnutzen.

Nehmen wir als Beispiel für eine Form der Hierarchie, die nicht allumfassend ist, patriarchalische Führungskräfte, die ihren Laden im Alleingang führen. Diese Menschen sind in der Regel stark fokussiert, d.h. vielversprechende Ideen werden mit vielen Ressourcen gefördert, Projekte mit wenig Ertrag werden schnell aufgegeben.

Häufig finden sich in diesen Unternehmen auch agile Einheiten. Ein hierarchisches System und Agilität sind kein Widerspruch. Die Frage, ob du dort arbeiten willst, ist eine ganz andere. Denn eines ist klar: Ob dein Projekt eine vielversprechende Idee ist und sich gut entwickelt, entscheidet allein der Firmenchef.

Mit anderen Worten: Auch hier gibt es keinen Konflikt. Was mir allerdings auffällt, ist die Tatsache, dass Beschäftigte, die agil verstanden haben und in diesem Sinne arbeiten, auch in einem traditionellen Projekt funktionieren können. Das Gegenteil ist nicht der Fall. Agiles Arbeiten braucht viel Erfahrung.

Hierzu passt ein Artikel, in dem statistisch nachgewiesen wurde, dass es von großem Vorteil ist, eine klassische Ellenbogenmentalität zu haben, wenn man ins (deutsche) Management aufsteigen will. Der Verfasser glaubte, dass dieser Beweis die naiven Träume der Anhänger von New Work hinwegfegen würde.

Die meisten Menschen in der agilen Szene sind ziemlich geübt darin, solche Akteure der Branche einzuschätzen und mit ihnen umzugehen. Außerdem können viele von ihnen hybride Umgebungen sehr gut akzeptieren, da die Motivation oft darin besteht, einen erfüllenden Arbeitsplatz zu haben. Solange das gegeben ist, entsteht kein Konflikt.

Ich wünsche mir, dass die Menschen in den sozialen Medien weniger versuchen, gegeneinander zu argumentieren. Es gibt Raum für alle Konzepte. Sucht euch einfach aus, was zu euch passt.

Organisation nicht das Individuum

Normalerweise empfehle ich Bücher von Angesicht zu Angesicht. Hier aber mal gerne öffentlich. Vielleicht geht euch aktuell das Ewige auf das Individuum bezogene auch auf den Senkel. Da bietet sich das folgende Buch als Spiegel und somit Denkmitte an.

Der einzelne Mensch als Vater erfolgreicher Projekte, als das faule Ei im Korb, als aufstrebender Held oder als personifizierter Versager sind nichts als Geschichten. Warum bestimmte Menschen erfolgreich sein konnten, hat viele Ursachen. Aktuelle Marktereignisse, ein bisschen Glück und sicherlich auch die handelnden Personen selbst, keine Frage. Was für mich viel zu selten diskutiert wird, ist die Organisation. Organisation kann das Großartigste möglich machen, sie kann aber auch der Garant dafür sein, dass die einfachsten Transformationen immer im Nichts enden.

„Die Humanisierung der Organisation“ von Kai Matthiesen, Judith Muster und Peter Laudenbach betrachtet Organisationen als Beobachter ganz im Sinne und mit Bezug auf Niklas Luhmann. Dies erzeugt in manchen Passagen ein sehr hartgesottenes Bild von Organisationen. Das ist aber gut, denn es schafft einen Prüfstein für die eigenen Vorurteile auf Organisationen.

Das Buch ist aus der Beratungspraxis heraus entstanden und steckt voller wunderbarer Zitate. „Es ist die Vorstellung, als Team gut zusammenzuarbeiten bedeute, dass jede und jeder im Team immer gleicher Meinung sein und identische Meinungen verfolgen müsse. Das ist ein Irrtum. Gut zusammenarbeiten bedeutet, die unterschiedlichen Meinungen und Interessen produktiv zu machen.“ S. 161f.

„Beim Besuch dieses Paralleluniversums versteht man, dass die Möglichkeit der Insolvenz einer der größten Vorzüge der Marktwirtschaft ist. Sie erzwingt im Interesse des Überlebens eine gewisse Rationalität.“ S. 239.

Nach 240 Seiten, die den Organisationen den Spiegel bis zum letzten Knochen zeigen, endet das Buch mit einem wunderbaren Aufruf zum Handeln: die Humanisierung als Effekt guten, über sich selbst aufgeklärten Organisierens. S. 248.

Gut geschrieben, kann ich diesen frischen Blick in Buchform nur empfehlen.

Buch "Die Humanisierung der Organisation"
Buch „Die Humanisierung der Organisation“

Fragt einfach, wie ihr euch verbessern könnt

Gemäß den Grundsätzen des Lean Management haben wir in den letzten Wochen mit vielen Kunden diskutiert. Wir haben sie gefragt, was sie persönlich von unserer Arbeit halten. Also ihre Einschätzung, wie wir als Presales-Team arbeiten, und nicht die Leistung des Unternehmens als Ganzes oder die derzeitige Kundenzufriedenheit. Und wer könnte diese Frage besser beantworten als jeder Vorgesetzte? Unsere Kunden!

Inzwischen haben wir glücklicherweise eine ganze Menge Übung darin. Wenn man das zum ersten Mal macht, braucht man einige Überredungskünste und es fühlt sich auf beiden Seiten komisch an. Kundenbefragungen zu Produkten oder Dienstleistungen sind uns vertraut.  Dass Beraterinnen und Berater  darum bitten, kritisiert zu werden, fühlt sich eher seltsam an.

Nach anfänglicher Irritation realisieren die Kunden, dass es uns als Team darum geht, uns zu verbessern. Dieses Verständnis wird durch eine an Lean angelehnte Methode gefördert. Auch dieses Mal waren alle Gespräche großartig. Es gab Komplimente, aber auch einige Erkenntnisse, die schmerzen, und das ist genau der Grund, warum wir das tun.

In diesem Jahr war ich überrascht, wie schnell sich unser Geschäft verändert. Wir haben 2018 einen agilen Presales-Ansatz „Agile Business Accelerator“ gestartet mit der Erwartung, dass etwa 25 % des Marktes iterative Ansätze nachfragen würden. Während der Kundeninterviews stellten wir jedoch fest, dass alle Kunden, die wir befragten, einen iterativen, geschäftsgenerierenden Ansatz benötigten.

Die Kunden haben dies in ihrem Stil und in der Kultur der Unternehmen sehr unterschiedlich dargestellt. Vielfach verwenden sie nicht einmal das Wort „agil“. Ich halte dies für sehr wertvoll, geschäftliche Werte sind gefragt, und wir finden gemeinsam eine passende Methodik.

Vielen Dank für eure Bereitschaft und Offenheit!

Generative

Über Transparenz

Vor einigen Jahren nahm ich an einem Antrittsvortrag einer Bereichsleiterin teil, in der sie aktuelle Zahlen aus ihren Berichten analysierte, Ungereimtheiten feststellte und ein Resümee zog. Sie kam zu dem Schluss, dass diese Diskrepanzen auf vorsätzliche Vertuschung hinwiesen. Ein Umstand, den sie ändern werde. Denn nur ein transparentes System bietet den Menschen die Möglichkeit, zielgerichtet zu handeln.

Dem letzten Satz schließe ich mich mit all meinem Wissen und meiner Erfahrung an. Schummeleien, geschätzte Zahlen oder Schlamperei in Verbindung mit einem 80er-Jahre-„Management by Objective“-Apparat sind der bestmögliche Nährboden für Missmanagement. Sie führen bestenfalls zu Frustration in einzelnen Bereichen, wenn zwar alles nach den Vorgaben passt, aber das Gesamtergebnis schlecht ist.

Mein eigenes Fallbeispiel oben hat übrigens nicht gut geendet; es wurde ein neues System geschaffen, das vor allem konsistent war. Das konnte man an den nach und nach geschlossenen Defekten gut beobachten. Ich kann nicht sagen, ob das ursprüngliche intransparente System absichtlich geschaffen wurde. Aber ich bin mir sehr sicher, dass das neue System auf Verschleierung abzielte.

Nun gibt es bestimmte Bereiche, in denen Transparenz nicht erlaubt ist. Die Gründe für diese Einschränkungen der Transparenz sind meiner Erfahrung nach fast immer vorgeschoben. „Wir können Ihnen die aktuellen Zahlen nicht nennen, denn wie Sie wissen, ist einer unserer Unternehmensteile börsennotiert.“ Wenn sich Systeme um Transparenz bemühen, hört sich das meist ganz anders an: „Wir wollen besser verstehen, wie unsere Services bei den Kunden ankommen, also vergleichen wir x und y. Der börsennotierte Teil des Konzerns kann nur auf diese und jene Weise in die Analyse einbezogen werden. Aber auch hier arbeiten wir weiter an verschiedenen Lösungen.“

Es geht darum, was man messen will und was man messen kann. Wer Lean oder Agile versteht, der weiß, dass es eine lange Reise ist. Schafft Metriken, die euch wirklich voranbringen, und das sind im besten Fall Lead-Measures. Vergesst nicht, die vorhandenen Möglichkeiten des „was man messen kann“ kreativ zu nutzen und bessere Bedingungen zu schaffen.

Meiner Erfahrung nach ist wirklich gute Transparenz immer eine Wegstrecke und nicht etwas, das man am Ende erreichen oder gar per Dekret festlegen kann.

Transparaenz