Neue Leistung braucht das Land

Neulich habe ich einen Kommentar gelesen, man wünsche sich neben der ganzen Diskussion um New Work auch eine Diskussion um New Performance. Oder ein anderes Posting, dass man neben all der New Work auch arbeiten müsse, weil man dafür Geld bekäme. Entweder ist das ein neues Narrativ, um New Work zu diskreditieren, oder es ist ein Missverständnis. New Work ist kein Zusatz oder Benefit in Form von kuscheligen Büros und 4-Tage-Wochen.

Aber wenn jemand New Work nicht kennt und noch nie einem Team begegnet ist, das diese Methoden zur Effizienzsteigerung einsetzt, dann kann ich mir gut vorstellen, dass ein solcher Eindruck entsteht. Aber es geht bei New Work nicht um Leistung versus Benefits. Prof. Peter Kruse hat einmal gesagt, dass Selbstorganisation die höchste Form der Professionalität ist. Das bringt einen zentralen Aspekt von New Work auf den Punkt.

Für mich war es auch eine ziemliche Lernkurve, die 2016 aus Effizienzüberlegungen im Team begann. Damals war ich ein ganz normaler hierarchischer Teamleiter einer Presales-Einheit. Ich habe Leute für Ausschreibungen eingeteilt und ihre Arbeit priorisiert. Wenn jemand krank wurde, musste ich Ersatz einteilen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, wie das Team nach ein paar Jahren aussehen würde.

Lean-Agile Methoden mit dem Team zu entwickeln, die Diversität bzw. Vielfalt im Team zu erhöhen, war ein langer Weg mit vielen Rückschlägen und Momenten, in denen ich aufgeben wollte. Aber auch Momente, in denen mir Teammitglieder:innen den Rücken gestärkt haben. Ich erinnere mich an kleine Erfolge und an einen großen Glücksmoment nach ca. 3 Jahren.

Es war an einem Sommertag, eine Mitarbeiterin rief mich an, es gäbe eine neue Ausschreibung, sie wolle mich nur informieren. Sie handelte natürlich ohne Mandat. Was sie gemacht hatte, war ein organisatorischer Kraftakt, denn alle Teams waren mit einer hohen Arbeitsbelastung unterwegs. Ich habe alle Beteiligten angerufen und gefragt, ob sie einverstanden sind, und unisono haben alle versichert, dass wir das noch hinkriegen.

Zu diesem Zeitpunkt schafften wir etwa doppelt so viel Arbeiten wie drei Jahre zuvor. Mit einer guten Reife in der Selbstorganisation, besseren eigenen Methoden, weniger Verschwendung im System etc. Übrigens konnten wir in unserem Bereich auch den doppelten Umsatz erwirtschaften wie noch 3 Jahre zuvor. Das ist New Work.

New Work macht Menschen glücklich, weil sie als ganze Person mit all ihren Fähigkeiten geschätzt werden. Weil man in der Gemeinschaft Dinge schafft, die man alleine nie geschafft hätte. Weil man Anregungen bekommt und sich intensiver einbringen kann, als man es sich letzte Woche noch vorstellen konnte und noch vieles andere mehr.

Sofas, Tischfußball, Boxsack, Fitnessstudio etc. sind gut und schön, haben aber wenig mit New Work zu tun. Solche Benefits passen vielleicht sogar besser zu einer kompromisslosen Führung. Leistung ist da auch eher ein Müssen, das Output und nicht Outcome erzeugt.

Kran Hamburg Fabrik

Dinge ändern und Gelassenheit

Kennt ihr das? Man steht auf dem Flur und ein Kollege äußert mal wieder seinen Unmut über die da oben, die Nachbarabteilung oder die Kunden. Sein Unmut ist immer pauschal, geht oft davon aus, dass die Gescholtenen dumm sind. Auf seinen Einfluss angesprochen, kann er eben nichts machen.

In diesem Zusammenhang wird dann gerne das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr zitiert: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wieder einmal ein schöner Sinnspruch, der dazu aufruft, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man ändern kann. Kaum gelesen, schon wieder vergessen. Was fehlt sind konkrete Hilfestellungen oder gar leicht anwendbare Methoden. Aus dem Einsatz von Lean Management kann ich dazu vielleicht etwas beitragen.

Als wir vor einigen Jahren begannen, im Team Concerns zu sammeln, wurde zunächst die Liste immer länger. Es waren Kleinigkeiten, einmalige Vorfälle, echte Hindernisse und Unmut. Gegen die immer länger werdende Liste musste etwas getan werden, die Concerns wurden im Team verteilt. Einmalige Vorfälle und Kleinigkeiten, die wenig störten, wurden schnell abgearbeitet.

Die Hindernisse wurden mittels Problem Solving analysiert. Die Teile, die das Team selbst oder durch Einbeziehung von Nachbarn und Kooperationspartnern lösen konnte, brachten oft so viel Verbesserung, dass der Concern selbst vom Board genommen werden konnte.

Concerns, die Kunden, die Bereichsleitung oder „die da oben“ betrafen, wurden durch das Problem Solving sehr gut aufbereitet. So gut, dass bei der Darstellung der Problemlage und der Lösungsalternativen oft anerkennend genickt wurde. Dennoch änderte sich meist nichts.

Aber im Team hat sich das Bild von den Dingen, die wir anpacken und lösen können, sehr geschärft. Bei Dingen, die nicht in unserer Macht standen, haben wir je nach Workaround auch mal Gelassenheit gezeigt und den Concern einfach in den Papierkorb geworfen.

Das Erfolgsrezept ist einfach: Visuelles Management, Konzentration auf die eigenen Stärken und machen.

Katze auf dem Dach
Katze auf dem Dach

Mit Büchern aus der Blase

Seit einigen Wochen versuche ich mit mäßigem Erfolg, nicht mehr so oft auf mein Handy zu schauen. Zum einen ist die Zeit dort meist nicht gut investiert, zum anderen tut es auch mal gut, in die Luft zu schauen. Social Media versucht einen mit allen möglichen Tricks abhängig zu machen, was im Sinne des Geschäftswertes der Anbieter völlig in Ordnung ist, aber das was gut für mich ist eben nicht in den Mittelpunkt stellt.

Kurze, belanglose Informationshäppchen, die in meine Blase passen, haben Vorrang. Wenn dann doch mal ein längerer Artikel über 2 Seiten kommt, ist man dank jahrelanger Prägung durch Clickbait-Werbeartikel so misstrauisch, dass nach wenigen Sätzen schon weitergeswiped wird. Oder, ach, die Schlange an der Kasse ist heute schnell, ich bin dran und stecke das Handy wieder in die Tasche.

Viele Merkmale erinnern an die Anfänge der Musik-Streaming-Dienste, bei denen Musikstücke nach weniger als 20 Sekunden weitergeschaltet werden. Künstler:innen und Industrie reagierten mit kurzen, konformen, unspannenden neuen Tracks. Eine Stunde Musik scrollen und man ist geistig durchgegart. Viele legten den Streaming-Player aus der Hand und freundeten sich wieder mit Plattenspieler und Vinyl an.

In der Pandemie hat die Kneipenlesung einen Bücherstreit-Podcast gestartet, für den ich Bücher lesen „muss“, die sonst nie auf meiner Leseliste gestanden hätten. Allein schon wegen des Genres. Natürlich habe auch ich dem Podcast-Team Bücher vorgeschlagen, die sie sonst nie gelesen hätten. Zum Beispiel haben wir zum Thema Klimakrise haben wir zwei gegensätzliche Bücher gelesen.

Das hat mich nach einiger Zeit so interessiert, dass ich jetzt geradezu auf der Suche nach Büchern bin, die mich in unbekannte oder gegensätzliche Sphären führen. Sie müssen gut verfasst und interessant sein, aber die Lektüre darf auch anstrengend sein, weil der Autor eine völlig gegensätzliche Meinung vertritt.

Meine Hoffnung ist, dass Bücher und Hörbücher vielleicht so etwas wie die Langspielplatten des Social-Media-Zeitalters werden. Einfach für eine Stunde oder länger in eine andere Welt eintauchen, etwas Neues lernen, Einblicke in die Gedankenwelt anderer Menschen erhalten und nicht zuletzt gut unterhalten werden.

Ich schließe diesen Beitrag mit weniger als 2.500 Zeichen, damit ihr ihn oft angeboten bekommt 😉

Mit Büchern aus der Blase

Kann man Unordnung messen?

Immer wieder begegnen mir Ausschreibungen, deren Ziel es ist, eine bestehende, historisch gewachsene Servicedienstleistung zu standardisieren. Dieser Service wird bisher in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Qualitäten von den unterschiedlichsten Personen erbracht. Nach einigen Firmenfusionen, lokaler IT in den Ländern, verschiedenen Kostenstellen und diversen internen Kunden kann das schon recht unübersichtlich werden.

Viele Berater:innen empfehlen in einer solchen Situation, man müsse nur ganz genau beschreiben, was für eine Leistung man benötigt und entsprechende Service Level Targets von den Anbietern einfordern. Dies ist in vielen Fällen eine kaum lösbare Aufgabe. Allein die Tatsache, dass die Organisation in den verschiedenen Geschäftseinheiten mit unterschiedlichen Modellen zurechtkommt. Macht es schwierig, den richtigen Service zu definieren.

Derartige Ausschreibungen sind in der Regel sehr auffällig. Bei der Durchsicht fällt auf, dass viele Zahlen nicht zusammenpassen und die geforderten Service Levels meist zu hoch und damit zu teuer sind. In der weiteren Kommunikation werden die Zahlen auf Kundenseite typischerweise alle paar Wochen korrigiert, bleiben aber bis zum Schluss unbefriedigend.

Ich war selbst einige Jahre auf Kundenseite tätig und erinnere mich ungern an die Forderungen Simplifizierungen zentraler Stakeholder mit der platten Aussage: „Was soll denn daran so schwierig sein?“ Darauf möchte ich eine Antwort geben. Eine über Jahre ohne Standardisierung gewachsene Struktur mit hunderten unterschiedlicher Nutzergruppen ist komplex, wenn nicht gar chaotisch. Sie ist mehr als kompliziert und kann nicht in kurzer Zeit hinreichend gut analysiert werden.

Mit Hilfe von Cynefin würde ich das Umfeld analysieren und statt einer einfachen Antwort z.B. eine komplexe Problemstellung annehmen und mit Ausprobieren -> Wahrnehmen -> Handeln (Emerging Practice) antworten. Was bedeutet das für eine Ausschreibung? Zum Beispiel eine adaptive Ausschreibungsmethode wählen oder, wenn es klassisch bleiben soll, mit Rahmenvertrag in Phasen lernen und standardisieren.

Wenn man von den Cynefin-Kategorien ausgeht und einen einfacheren Kontext wählt, als er tatsächlich gegeben ist, hat man weniger Steuerungsinstrumente als notwendig. Ashby’s Gesetz besagt, dass die Vielfalt des Steuerungssystems mindestens so groß sein muss wie die Vielfalt der auftretenden Störungen, um die Steuerung durchführen zu können. Mit anderen Worten, Kategorienfehler sind ein hohes Risiko, absichtliche Kategorienfehler sind Glücksspiel.

Und genau das ist meine Beobachtung in solchen Fällen.

Cargo Cult

Gelegentlich trifft man auf Organisationen, die nach außen hin behaupten, agil zu sein, bei näherer Betrachtung aber kaum eine agile Kultur entwickelt haben oder entwickeln wollen. Agile Berater verwenden dafür den Begriff Cargocult, wenn Organisationen agile Methoden ohne Nutzwert, sondern eher aus symbolischen Gründen einführen.

Cargocult ist ursprünglich eine religiöse Bewegung auf einigen Pazifikinseln, bei der z.B. Teile von Flughäfen aus Holz nachgebaut werden und die Aktivitäten eines Flughafenbetriebs symbolisch nachgeahmt werden, um die Rückkehr der Ahnen herbeizuführen, die Cargo (Fracht) bringen werden. Frachtgüter, wie sie die amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg massenhaft auf die Inseln brachten.

Meiner Erfahrung nach sind die allermeisten „Cargocult“-Fälle in Unternehmen anders gelagert. Ich habe in einem Fall erlebt, dass agile Methoden in der IT eingeführt wurden. Die Mitarbeiter:innen erfuhren dies buchstäblich über Nacht, hatten keinerlei Training, sollten aber alle laufenden Projekte auf agile Arbeitsweisen umstellen. Da es sich um ein hierarchisch geführtes Unternehmen handelte, wurde dies auch in den meisten laufenden Projekten versucht. Das Management verkündete nach 4 Wochen, dass man agiler und besser als die Branchenführer sei.

Die Umstellung auf symbolisch-agiles Arbeiten führte bei allen Projekten zu erheblichen Verzögerungen. Es wurde von den Projektleitern zu agilen Methoden gerätselt und interpretiert, sehr oft mit einer simplen Fehlzuordnung wie: Definition-of-Done ist doch unser altbekanntes Abnahmeprotokoll. Es entstand ein erstaunlicher Unsinn, sogar Repressalien sollten unter dem Namen Agilität durchgesetzt werden.

Das Ganze endete nach 9 Monaten, am Ende dozierte das Management über die Unzulänglichkeiten agiler Methoden. Ich bin während und nach diesem Massenversuch angesprochen worden, habe mit den Menschen gesprochen. Die allermeisten haben unter diesem Unfug gelitten. Einige wenige haben sich immer politisch korrekt geäußert und alles richtig befunden.

Dass diese Arbeitsweise nichts mit Agilität zu tun hat, war der Mehrheit schon nach kurzer Zeit klar. Ihr aufkeimender Widerstand führte schließlich auch zum offiziellen Abbruch des Projekts. Verblieben die Befürworter, glaubten sie an einen Cargocult? Ich vermute eher, man wollte sich mit agilen Kleidern schmücken. Wollten der Welt erzählen, nun auch eine agile Organisation zu sein. Im Inneren solle alles so hierarchisch wie möglich bleiben.

Der Verdacht liegt nahe, dass man sich modern geben wollte und es gar nicht ernst meinte. Eher eine Art symbolisches agiles Arbeiten, um dem Management und der Außenwelt etwas vorzugaukeln. Für mich passt da eher der Begriff Potemkinsche Dörfer, da wohl niemand erwartet, dass die agile Kultur irgendwann vom Himmel fällt.

„New Work“ potemkinsche Dörfer sind natürlich eine überflüssig wie nur was. In den Beispielen, die ich kenne, richten sie keinen nachhaltigen Schaden an, die Mitarbeiter:innen kennen derartigen Unsinn. Ein paar junge Mitarbeiterinnen werden mittelfristig gehen. Übrigens werden rechtlich notwendige Rahmenbedingungen in diesen Unternehmen auch so eingeführt. Diese landen dann meist in einer Stabsabteilung, da gibt es immer entsprechende ISO-Beauftragte.

Bleibt die Frage: Warum macht man so etwas? Ich habe mit HR Kolleg:innen gesprochen, die ja meist mit derartigen „New Work“ Kulturveränderungen beauftragt werden. Die waren alle genervt von solchen Projekten, es mangelte fast immer an Unterstützung, Ressourcen und Budget in ihren Unternehmen. Eine transparente Kommunikation, welche Ziele mit den viel zu knappen Ressourcen eigentlich erreicht werden können, gab es bei ihnen nicht.

Wäre ja schön, wenn jemand sagen würde: Wir wollen das nur draußen an der Tür stehen haben, weil alle das jetzt so machen. Ist aber nicht so…

Tanker unscharf im Meer