Zeitmanagment: Vom Packen und Sortieren

Ihr kennt sicherlich das Bild von einem Einmachglas in dem zuerst große Kieselsteine, dann kleinere Steinchen, die sich in die Zwischenräume setzen und zuletzt noch Sand, der die letzten Lücken ausfüllt. Genau so hat mir einer meiner ersten Teamleiter Zeitmanagment erklärt. Er hätte es kaum falscher darstellen können.

Was ist eigentlich der Zweck von Zeitmanagment? Bitte denkt ein zwei Minuten darüber nach bevor ihr weiter lest.

Eine gute Antwort könnte lauten: „Öfter mal Freitags um 16:00 Uhr ohne schlechtes Gewissen ins Wochenende gehen“, „Die Zeit für Dinge mit hoher Priorität genauer abschätzen können“, „Wertvolle Aufgaben zu dem Zeitpunkt erledigen, wenn sie gebraucht werden“, „Am Ende der Woche wissen was man geschafft hat und das man seinen Bereich vorangebracht hat“ oder „Am Ende der Woche die richtige Balance aus Beruf, Familie und Erholung gefunden zu haben“.

Es gibt auch Dinge die wir im Zeitmanagment vorantreiben, damit obige Ziele erreicht werden können: „An Effizienz arbeiten und diese erreichen, nicht nur effektiv arbeiten“, „Voraussetzungen für schnelles Abarbeiten schaffen“, „Lernen zu priorisieren“, „Zeitfresser eliminieren“ oder „Mehr in weniger Zeit schaffen“. Für sich betrachtet sollten diese nur Mittel zum Zweck sein, jedoch keine Ziele an sich sein. Im Sinne von Erwartungen sind solche Ziele sogar problematisch, in jedem Fall jedoch irreführend.

Zeitmanagment sollte nicht zum Zweck haben, jede freie Minute für Arbeit auszuquetschen. Auch wenn einzelne dicht gepackten Arbeitseinsätze zu Projektabgaben notwendig sein können, so sollten sie die Ausnahme bleiben. Sonst laugen sie auch den besten Superhelden aus, nicht zu vergessen die Superheldinnen. Selbstmanagment ist auch kein Prozess an sich, der Aufgaben auflistet, ablehnt, delegiert, verwaltet und umschichtet. Nachdem man sein Zeitmanagementsytem gefunden hat, sollten die Methoden nur sehr wenige Prozent Anteile an der Arbeitszeit haben. Zeitmanagement ist Selbstmanagement, verteilt vorhersehbare Zeit und schafft Raum für Unvorhergesehenes: Freiräume.

Investiere jetzt

Das mit dem priorisieren ist eine recht verzwickte Sache, es spielen sehr viele verschiedene Faktoren zusammen. Deshalb mag ich das recht einfache System eines Aufgabenstapels, dessen Aufgaben Werte haben und dann entsprechend der Werte in die Stapel „Ready“, „Work in Progress“, usw. gezogen werden. Aber natürlich eignen sich auch andere Methoden.

Neben der Wichtigkeit und Dringlichkeit muss für den Wert auch die Investition in Zeit betrachtet werden, eigentlich eine triviale Aussage, dummerweise ist der Resourcenbedarf bei vielen Aufgaben nicht konstant. Eines der zentralen Anliegen von Kanban ist den Durchsatz zu steigern und hier liegt genau eine der Wunderwirkungen in Effizienzgewinn von Leuten die Zeitmanagment beherrschen.

Aufgaben die lange rumliegen, täglich kurz angefasst werden oder Bearbeiter wechseln dauern viel länger in der Bearbeitung als notwendig. Schauen wir uns einige Fälle an, bei denen sich Zeit sparen lässt.

  • Ihr bekommt eine Mail, die einen Kundentermin übernächste Woche plant, verschiedene Parteien werden nach Vorschlägen gefragt. Kurzfristig reagiert sind alle Beteiligten noch in der Planung. Es könnte sich zum Beispiel herausstellen das die Zeitfindung schwierig ist und man kurz miteinander telefoniert. Wenn sich dies über Tage hinzieht, ereignen sich typischerweise viele Kollisionen bis hin zu einem Neustart, wenn der Kunde den vor Tagen geblockten Zeitslot inzwischen schon vergeben hat.
  • Ihr bekommt eine Aufgabe, die nicht exakt zu eurem Aufgabengebiet passt aber auch nicht exakt zu einem Aufgabengebiet der anderen möglichen Bearbeiter. Diese Mail nun mit den Worten „scheint etwas für Dich zu sein“ weiterzuleiten bedeutet ein Zeitfresser-Monster geschaffen zu haben. Liegen lassen und nicht antworten erhöht simpel die Dringlichkeit dieses Monsters, auch nicht schlau. Besser ist aktiv nach jemanden zu suchen, der die Aufgabe annimmt oder definitiv zu klären, dass ihr diese Aufgabe nicht übernehmen werdet. Etwa mit dem eigenen Chef kurz besprechen, das die Aufgabe endgültig nicht die eure ist. Mir ist im übrigen klar, dass bei Aufgaben mit unklarem Zuständigkeitsbereich der Überbringer der Nachricht zwar nicht getötet wird, jedoch die Aufgabe gerne aufgedrückt bekommt. Trotzdem rate ich euch dazu den Staffelstab der Aufgabe sauber in zuständige Hände zu legen. Zeitmanagement hat auch viel mit Kommunikation zu tun. Euer Umfeld wird sich dem anpassen, manchmal ist das ein steiniger Weg.
  • Eine wichtige aber nicht dringliche Aufgabe, die durch viele Abteilungen gehen muss, ist ein Beispiel für die Verlängerung der Abarbeitungszeit weil sich Beteiligte immer wieder neu auf die Aufgabe einstellen müssen, nachfragen haben und zentrale Absprachen vergessen werden. Crossfunktionales Arbeiten kann in vielen dieser Fälle helfen. Seht zu das ein beteiligtes Team sehr viele Anteile dieser Aufgabe lösen kann, etwa durch coaching von Experten. Auch hilft es die Aufgabe zu einem bewusst gewählten Zeitpunkt in Absprache mit anderen Teams (künstlich) dringlich zu machen. Wenn diese Aufgabe einen Wert darstellt, dann ist sie im halbfertigen Zustand eine Verschwendung, also den Fertigungszeitraum verkürzen und festlegen.

Werkzeuge beherrschen und Automatisieren

Bei wiederkehrenden Aufgaben solltet ihr eure Werkzeuge beherrschen, Produktivität und Effizienz erhöhen. Hier investierte Zeit hat oft ein erstaunlich schnelle Return on Invest.

  • Schult euch auf eure Werkzeuge, lernt wie diese strukturell funktionieren, wo Fehlerquellen liegen und welches Optimierungspotential in ihnen steckt. Das lässt sich oft gut in den Arbeitsalltag einfügen. Hier mal ein Tastaturkürzel merken, dort einen Tipp vom Experten einbauen. Kennt ihr zum Beispiel das Vorlagenkonzept eurer Textverarbeitung? Hier lässt sich massiv Zeit für formatieren einsparen und das Dokument wird am Ende sogar noch konsistenter sein.
  • Mise en place nennt man in Restaurants die Vorbereitung des Arbeitsplatzes, etwa die Bereitstellung der zu verarbeitenden Waren am Vormittag, um Mittags den Ansturm strukturiert abarbeiten zu können. Dieses Prinzip hat zwei Vorteile, zum einen immer zu Wissen wo etwas liegt oder hinkommt zum anderen bietet diese Systematik aber auch ein Verbesserungspotential. In einer Retrospektive könnt ihr euer System noch einmal optimieren, um beim nächsten Ansturm noch relaxter fristgerecht Abarbeiten zu können. Im digitalen liegt auch hier viel Potential, da man die Schüsseln mit dem vorgeschnittenen Gemüse nicht nur dreidimensional auf Tischen und Regalen anordnen kann, sondern viel mehr Werkzeuge zur Verfügung stehen. Redet darüber mit Kollegen und Experten, der Austausch hält so manchen Shortcut bereit.
  • Stellt Unzulänglichkeiten des Arbeitsplatzes ab, meldet Fehler und zeigt Probleme in der Benutzbarkeit auf. Bleibt da hartnäckig und diskutiert Probleme auch wenn es erst mal Zeit kostet. Vielfach habe ich es schon erlebt das Benutzer Fehler ihrer Systeme einfach akzeptieren, obwohl diese leicht lösbar wären. Leider kenne ich nur zu gut, das Firmen sich teure Systeme kaufen, diese trotz vieler Beraterstunden nicht gescheit ans laufen bekommen und irgendwann mal beschließen, das der aktuelle Zustand nun fertig und benutzbar ist. In Analogie wird ein professioneller 40-Tonner-LKW gekauft, um in einer mittelalterlichen Innenstadt Waren auszuliefern und man wundert sich das der LKW nicht um die Kurven kommt. Holt da die Stoppuhr raus und bleibt hartnäckig, so eine Zeitverschwendung ist nicht akzeptabel und kostet euch viel Elan bei der Arbeit.
  • Automatisieren lohnt sich fast immer, wenn Aufgaben(teile) sich oft wiederholen. Ich gehe sogar soweit, wenn die Automatisierung vermutlich genauso viel Zeit kostet wie der manuelle Ansatz, automatisiere ich. Denn zum einen lerne ich und werde bei der Automatisierung schneller, zum anderen könnte diese Aufgabe ja wiederkehren. Fragt Systembetreiber Vorgänge zu beschleunigen. Lasst euch helfen im Office-Paket Textvorlagen oder Makros zu schreiben. Automatisiert euer Betriebssystem. Bitte jedoch alles im lokalen Rahmen, bastelt keine kompletten Workflow-Kaskaden in denen dann Kollegen mitwirken müssen, dafür sind zentrale IT Systeme da.
  • Probiert neue Technologien aus! Eignet sich eine Speech-to-Text Diktierfunktion eventuell für kurze Mitteilungen? Tauscht euch gegenseitig über Erfolge und Limitierungen solcher Tools aus, denn Ausprobieren von Gadgets macht Spaß, kostet aber auch Zeit. Ein bisschen Spaß darf aber sein 🙂

Ihr werdet sehen, die Suche nach Optimierung erhöht die Begeisterung an geistiger Arbeit ungemein. Man braucht bei Automatisierung keine Angst vor „mehr in weniger Zeit“ zu haben. Wiederkehrendes Zeug wegzuschaffen ist ein Quell an Freude und einen funktionale Arbeitsplatz zu haben, der Such und Sortierzeit minimiert einfach toll.

Absagen und neu gestalten

In so ziemlich jedem Zeitmanagment-System diskutiert ein Kapitel meist intensiv das Ablehnen von Aufgaben, was richtig ist. Aber vergesst nicht, das im Sinne eines Arbeitsplatzes auch das Ablehnen von unnützen Strukturen notwendig ist. Das ist übrigens auch noch möglich nachdem ihr in die Fänge solcher Strukturen geraten seit, macht eine Retrospektive und geht in die Diskussion.

  • Ihr kommt in ein neues Projekt und werdet zu einem täglichen 60 minütigem Jour fixe eingeladen. Selbst in einem guten Jour fixe werden Dinge diskutiert, die zu anderen Teilprojekten gehören oder jeder Teilnehmer muss sich unbedingt zu Wort melden. Wenn ihr die Organisation noch nicht kennt, ist es okay an den ersten Jour fixes teilzunehmen, dann aber den Projektleiter dazu drängen die Situation zu verbessern. Etwa statt 60 Minuten Diskussion, 15 Minuten Stand-Up-Meeting oder einfach die Anzahl der Meetings zu reduzieren oder jedem Teilprojekt einen Wochentag zuordnen und das Jour fixe als offene Veranstaltung zu deklarieren. Wer sich für ein Teilprojekt interessiert, darf gerne einen Kaffee holen und mithören.
  • Ihr werdet zu mehrstündige Projektmeetings ohne Agenda eingeladen und das Ganze stellt sich als Kaffeekränzchen heraus, in dem über alles und nichts diskutiert wird. Fordert eine Agenda ein! Selbst offene Diskussionen sollten von Projektteilnehmern vorbereitet werden und gerade offene Themen benötigen eine Time-Box. So eine Mammutsitzung müsst ihr gar nicht mal barsch ablehnen, schlagt doch vor das Meeting vorzubereiten und zu moderieren.
  • Einmal die Woche diskutiert der Projektleiter den aktuellen Status und geht dabei tief in die fachliche Arbeit und fordert euch jedes Mal auf umzupriorisieren. In einer Retrospektive solltet ihr die Freiräume, Laufzeiten und Erfolgsfaktoren für jeden Projektbeteiligten festgelegt werden. Das hat noch nicht einmal was mit agilem Arbeiten zu tun, das sehen auch moderne Projektmanagementmethoden so vor.
  • Einmal die Woche müsst ihr Berichte, Reports oder Ähnliches abgeben, die umständlich und vermutlich unnötig sind. Lehnt überbordende Bürokratie ab! Wichtig ist zu verstehen wofür Reportings, Genehmigungen, usw. angefordert werden. Ein gegenseitiges Verständnis hilft schon sehr weit. Eventuell habt ihr einen automatischen Report, der besser die Anforderungen abbildet und jederzeit ohne Mehrarbeit abrufbar ist. Oder ihr könnt das Reporting auf ein Mindestmaß reduzieren und nur einmal im Monat den vollen Report erfassen.

Gerade beim Ablehnen von Strukturen ist „streng aber höflich“ ein guter Rat. Probiert die Dinge erst aus, redet viel über eure Erfahrungen mit den Vorgaben und Notwendigkeiten, seid höflich in der Absage. Auch wenn ihr nach Wochen im Projekttrott feststellt das Jour fixe blöd laufen, es ist immer Zeit Dinge gerade zu rücken.

Was mir noch zum Thema hinderliche Strukturen einfällt, sind Chefs die Mikromanagement betreiben. Ist mir persönlich Gott sei Dank noch nicht untergekommen. Mir hat immer geholfen die Dinge transparent zu machen, kombiniert mit einer sehr guten Leistung. Also einen Projektbeitrag überpunktlich liefern und dann über Hindernisse sprechen. Ist fast besser als Geschenke mitbringen. Zeigt was ihr drauf habt, fordert bessere Rahmenbedienungen ein und meldet den Performancegewinn (oder die anfänglichen Schwierigkeiten) ordentlich zurück.

Wenn das alles nicht hilft und ihr euch mit einem Mikromanager rumschlagen müsst, der Personalführung schon seit 30 Jahren so penetrant macht und unbelehrbar ist. Kann ich nur sagen, der Arbeitsmarkt ist im Moment gut und auch eine Alternative 🙂 Oder mit anderen Worten, ich will nicht behaupten das man alle Rahmenbedingungen ins Positive wandeln kann. Aber vieles geht und oft wundert man sich, wie leicht das umzusetzen ist, weil die Leute noch nie auf von ihnen produzierte Hindernisse angesprochen wurden.

Glas mit Bonbons
Trifft das Bild mit den Steinen nicht ganz aber wenigstens kleine und große Bonbons

Kommen wir mal zurück zu dem Glas mit den kleinen Steinen gepackt zwischen großen Steinen. Wir haben schon besprochen, dass es im Selbstmanagment nicht darum geht jede Sekunde mit Arbeiten vollzupacken. Trotzdem kann das Bild das gefüllten Glases einen nützlichen Anwendungsfall haben: Wenn ihr auf einige große und kleine Steine schreibt „Zeit für Familienprojekt A“, „Familienprojekt B“, „Zeit für Spaß mit der Familie“, „Zeit für eine kurze Erholung“, „Zeit mit Freunden“, „Zeit für Kreativität“, „Daran denken mal einen Kaffee zu trinken ohne auf das Smartphone zu schauen“, usw. Dann wird aus dem Glas ein Schaufenster für eine Woche mit genug Zeit und Konzentration auf alle wichtigen Aspekte der Arbeit und des Lebens.

P.S.: Dies ist ein zukünftiger Abschnitt eines Büchleins zum Thema Zeitmanagement mit Kanban. Bis zur Vervollständigung ist es noch etwas hin, also habe ich beschlossen nützliche Kapitel schon mal vorab zu veröffentlichen.

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